„Wollen hätt‘ ma schon, aber dürfen haben wir uns nicht getraut“ – Karl Valentin
„Ich finde das ja alles merkwürdig, diese Sparpläne. Da werden Ministerien zusammengelegt und Etats gekürzt. Dabei handelt es sich um außerordentlich wichtige Ministerien. Bildung und Kunst und Forschung sind meiner Meinung das Wichtigste überhaupt.“ (Helmuth Lohner im Kurier-Interview vom 2. Februar 2014)
In wenigen Tagen ist es soweit. Dann wird das Parlament ein neues Bundesministeriengesetz verabschieden und damit Kanzleramtsminister Josef Ostermayer als zuständig für den öffentlichen Dienst, Medien, Kunst und Kultur erklären.
Vermutungen sind müßig, welche Gründe just zu dieser Ressortverteilung geführt haben. Immerhin wird dem neuen Kunst- und Kulturminister eine persönliche Nähe zu seinem neuen Metier nachgesagt: „Ostermayer dürfte auch mehr zur Kultur zu sagen haben. Denn im Gegensatz zu Claudia Schmied, die zu Beginn ihrer Zeit als Ministerin nicht wusste, wer Erwin Wurm ist, hat der Burgenländer, der die Schulbank mit dem Filmregisseur Wolfgang Murnberger drückte, eine hohe Affinität zur Kunst: Nach der Matura habe er sich, so Ostermayer, überlegt, ob er Architektur, Jus oder Germanistik studieren solle; der Sohn eines Maurers entschied sich schließlich für den pragmatischen Weg (Jus), beschäftigte sich aber immer mit Kunst – und pilgerte eigenen Angaben nach „zweimal die Woche“ ins Stadtkino“
Mit der Ressortneuverteilung sind offenbar alle politischen Argumente einer strukturbildenden Gemeinsamkeit von Unterrichts-, Kunst- und Kulturzuständigkeiten vergessen, die es in der letzten Legislaturperiode erlauben sollten, Kultur- und Bildungspolitik neu zu denken und – entsprechend den Erfordernissen einer modernen Wissensgesellschaft – in nachhaltiger Weise umzusetzen. Jetzt liegen die Hoffnungen darauf, dass Ostermayer als „wichtigster Mann in der Regierung“ diese seine Bedeutung auch auf den Kunst- und Kulturbereich zu übertragen vermag.
Was bleibt, ist der Wettbewerb der Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit seinen übrigen Aufgaben, wie die Beratung des Kanzlers, die zu erwartenden Auseinandersetzungen mit der Beamtengewerkschaft oder die permanenten Zähmungsversuche unstillbarer Medieninteressen (Die Episoden, in denen der vormalige Bundeskanzler Viktor Klima Kunst „zur Chefsache erklärte“ (und daran kläglich scheiterte) oder Claudia Schmied so sehr von der Lehrergewerkschaft drangsaliert wurde, dass sie aller kulturpolitischer Manövrierräume verlustig ging, könnten da schon zu denken geben).
Das Bundeskunst- und Kulturbudget wird nicht gekürzt
Und doch ist Ostermayer bereits ein erster Erfolg gelungen, wenn er – trotz verschärfter Einsparungsziele in allen anderen Ressorts, die das Stopfen eines angeblich gar nicht vorhandenen Budgetlochs erlauben sollen – vermelden kann, dass die Kunst- und Kulturbudgets vorerst nicht gekürzt werden. Und so kann sich der Sektor fürs Erste im Gefühl einer weitgehenden Kontinuität des öffentlichen Engagements in diesem Bereich wiegen.
Nun hat die Stagnation öffentlicher Mittel bereits in den letzten Jahren zu einer merkbaren Verschiebung der kulturpolitischen Engagements zugunsten der Aufrechterhaltung der bestehenden, in der Regel gesetzlich abgesicherten kulturellen Infrastruktur geführt. Hauptleidtragender war der nichtinstitutionalisierte und freie Bereich, der – gegen alle programmatischen Bezeugungen eines besonderen Willens zur vorrangigen Förderung der zeitgenössischen Kunst – gravierende Verschlechterungen seiner Arbeits- und Rezeptionsbedingungen hinnehmen musste. Mit der – an sich positiven Entscheidung, die bestehenden Budgets zu halten – werden sich die bestehenden kulturpolitischen Ungleichgewichte weiter in Richtung Pflege des kulturellen Erbes verschieben: Inflation und notwendige Valorisierungen bei den großen Einrichtungen werden – ohne aktive kulturpolitische Gegensteuerung – dafür sorgen, dass die „Privatisierung des freien Bereichs“ weiter voranschreiten wird (siehe dazu Blog: „Alles privatisieren!“).
Meine Vermutung aber geht dahin, dass weitere Kürzungen dort, wo es am leichtesten geht, nicht ausreichen werden, um das, von selbstreferenziellen Interessen einiger weniger hochprivilegierter Akteure getragene Kulturbetriebssystem aufrecht zu erhalten.
Kultureinrichtungen am Ende ihrer betriebswirtschaftichen Phantasien
Schon kracht es heftig im Gebälk einiger dieser Einrichtungen, die nicht mehr in der Lage sind, ihre weitgehend ausgereizten „kreativen Gestionierungsversuche“ zur Aufrechterhaltung des Scheins von Normalität vor eine skandalgierige Öffentlichkeit zu verbergen vermögen. Am Beispiel „Burgtheater“, das übrigens zu den bestgeprüften Kunsteinrichtungen Österreichs gehört, und des aktuellen Falls „Stantejsky“ wird deutlich, dass das schiere Halten der bisherigen öffentlichen Budgets immer weniger ausreicht, um die Umsetzung der künstlerischen Pläne der Direktion zu gewährleisten. Erschwerend kommt dazu, dass diese es sich offenbar leisten kann, diesbezügliche Problemstellungen erst gar nicht an sich heranzulassen. Bislang kulturpolitisch unbeeinsprucht kann der amtierende Direktor Matthias Hartmann in öffentlichen Auftritten jegliche betriebswirtschaftliche Verantwortung mit dem Hinweis von sich weisen, er sei ja „Künstler“ und habe daher mit Fragen der Ressourvenverwaltung „seines Hauses“ nichts zu tun.
Wenig originell beschränkt sich Hartmann auf die Forderung nach einer Verbesserung der öffentlichen Mittelausstattung, die der Chef der Bundestheater-Holding Georg Springer mit der Ankündigung, es werde in den nächsten Jahren zu keiner Anhebung der Basisabgeltung für „seine Häuser“ kommen, postwendend zurückweist. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass diese unterschiedlichen Positionen den Wettbewerb, auch der öffentlichen Kultureinrichtungen untereinander und die damit verbundenen internen Auseinandersetzungen mit ungewissem Ausgang weiter verschärfen werden.
„Ich weiß nicht, ob ich diese Wünsche erfüllen kann“ (Ostermayer)
In seiner Not setzt das Burgtheater erste Schritte und gibt die Richtung vor, in die es ohne steuernde kulturpolitische Vorgaben zur künftigen Schwerpunktsetzung gehen könnte: Das Haus kündigt an, Verträge mit einzelnen SchauspielerInnen nicht zu verlängern bzw. zu kündigen, auf das Engagement von Gästen zu verzichten und die Kartenpreise anzuheben. Dabei fällt auf, dass besonders letztere Maßnahme den bisherigen kulturpolitischen Vorgaben, traditionelle Zugangsschranken abzubauen und vermehrt bislang vernachlässigte soziale Gruppen anzusprechen, diametral entgegengesetzt zu sein scheint (und mich an die grundsätzliche Frage erinnern lässt, warum unter 19-Jährige zwar die Bundesmuseen, nicht aber die Bundestheater gratis besuchen dürfen?).
Neokunstminister Ostermayer hat sich zu den aktuellen Entwicklungen noch nicht geäußert. Er ist damit beschäftigt, die im Antichambre des Palais Dietrichstein wartenden zentralen Akteure des Kulturbetriebs vorzulassen, die allesamt hoffen, im persönlichen Gespräch mit dem neuen Machtträger ihre Bestandsinteressen wahren zu können. Seine erste vorsichtige Reaktion „Ich weiß nicht, ob ich diese Wünsche erfüllen kann“.
Strukturreform braucht öffentlichen Diskurs
Nicht ganz so vorsichtig hat sich zuletzt ein schon langdienender kulturpolitischer Exponent geäußert: Offenbar im Versuch zur Vorwärtsverteidigung (nachdem die Stadt Wien den Vereinigten Bühnen eine Sondersubvention von 4,9 Mio zugesprochen hat und alle KritikerInnen den Vorwurf der „Neidgesellschaft“ hinnehmen mussten) deutete jüngst der Wiener Kulturstadtrat Mailath-Pokorny an, dass die Zeit für umfassendere Strukturreformen gekommen sein könnte: „Bisher war man der Ansicht, dass Einrichtungen, die es seit ewigen Zeiten gibt, nicht verändert werden dürfen. Ich glaube aber, dass wir diese wasserdichten Zellen aufbrechen müssen“.
Es steht also viel am Spiel und es gibt vieles zu verteidigen – und zu verändern
Noch äußert sich Mailath-Pokorny recht vage, wenn er vom Überdenken der traditionell gewachsenen Strukturen im Kunst- und Kulturbereich spricht, bei dem einige wenige hoch privilegierte Prestigeprojekte einer Vielzahl von freien Initiativen, die in ihrer gegenwärtigen Situation kaum mehr überlebensfähig sind, gegenübersehen. Einer seiner Vorschläge besteht in der Intensivierung des öffentlichen Dialogs, der mithelfen soll, den Interessen von traditionellen BesitzstandswahrerInnen eine neue Vielfalt zukunftsträchtiger Entwicklungsszenarien entgegen zu stellen. Dass das bei den bestehenden Beharrungskräften nicht leicht sein wird, zeigt der jüngste Bericht zu den Spitzeneinkünften in diesem Sektor, der eine sich immer weiter verschärfende soziale Spreizung zwischen einigen wenigen Hochprivilegierten und einer Vielzahl von „am Hungertuch nagender“ Kunst- und Kulturschaffender deutlich macht.
Schlussfolgern ließe sich daraus einerseits, dass in den großen „Kulturtankern“ noch durchaus Luft für unternehmensinterne Umverteilung ist. Und andererseits, dass es höchste Zeit für eines neues Set an kulturpolitischen Maßnahmen wäre, die darauf abzielen, der sich vertiefenden Verungleichung des Sektors und – damit verbunden – der anhaltenden Frustration und Bitterkeit der Betroffenen entgegen zu wirken.
Vieles davon war bei der zuletzt an der Universität für angewandte Kunst stattgefundenen Diskussion zum Thema „KUNST. KRISE? KONSEQUENZ!“ zu spüren. Thematisiert wurden vor allem die Lebens- und Arbeitsbedingungen junger KünstlerInnen, die sich nach Einschätzung aller PodiumsteilnehmerInnen, zuletzt nachhaltig verschlechtert hätten. Als ein wesentlicher Grund wurde die Unfähigkeit des Staates, seine Aufgaben neu zu organisieren ins Treffen geführt; er beschränke sich im Wesentlichen auf die Bestandserhaltung des kulturellen Erbes und lasse junge KünstlerInnen in ihrem Bemühen, im Kulturbetrieb Fuß zu fassen, allein. Die Politik könne sich dabei auf ein fast schon demonstratives Desinteresse gegenüber zeitgenössischer Kunst berufen, die mittlerweile Wien von anderen künstlerischen Zentren in durchaus negativer Weise unterscheide.
Bei der Gelegenheit wurde aber auch deutlich, dass transnationale Entwicklungen immer weniger vor den Grenzen des österreichischen Kulturbetriebs Halt machen würden. Auch das ein Grund, den schieren Fortbestand, scheinbar unveränderlicher, gewachsener Strukturen (etwa in der überkommenen Aufteilung von Zuständigkeiten zwischen den Gebietskörperschaften, die in ihren Grundzügen aus den 1920er Jahren stammen) mit der Drohung wachsender Implosionsneigung in Zweifel zu ziehen.
Eine neue Kulturpolitik braucht neue Formen des öffentlichen Diskurses
Die BesucherInnen vor Ort waren sich darin einig, dass die Konsequenzen in Gestalt einer grundlegenden Neuausrichtung staatlicher Kulturpolitik und damit verbunden – einer Intensivierung des öffentlichen kulturpolitischen Diskurses liegen. Die Möglichkeit, neue Interessen zu artikulieren, wäre die notwendige Voraussetzung, um das bestehende kulturpolitische Kräfteverhältnis so zu verändern, dass zunehmend internationale gesellschaftliche Entwicklungen antizipiert und damit das Verhältnis von kultureller Erbeverwaltung und Beförderung von Vielfalt zeitgenössischen Kunstschaffens weiter entwickelt werden kann.
Josef Ostermayer hat Mattias Euler-Rolle zu seinem Kultursprecher ernannt. Es wird sich zeigen, ob dieser mit seinen Erfahrungen als Ö3 Moderator dazu beizutragen vermag, den von Mailath-Pokorny angekündigten Dialog mit attraktiven politischen Vorschlägen wieder anzustoßen und damit seinen Chef als treibende Kraft des öffentlichen Gesprächs über Kunst und Kultur im Zeichen des Wandels zu positionieren – oder ob er Helmut Lohner bestätigen wird:
„Ich kann gar nicht mehr hinschauen, wenn ein Politiker im Fernsehen ein Interview gibt. Ich kann diese Sprechblaseen nicht mehr sehen! So ein grauenvolles Wischiwaschi, was die zusammenreden! Sie stehen da, dass man glaubt, die Hosen sind gestrichen voll – nur ja nichts sagen, ja nichts sagen! Ich sag‘ nicht so und ich sag‘ nicht so, damit es nicht heißt, ich habe so gesagt. Es ist, wie Karl Valentin einmal gemeint hat: Wollen hätt‘ ma schon, aber dürfen haben wir uns nicht getraut“ (Helmuth Lohner im Kurier-Interview vom 2. Februar 2014)
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