Wozu eigentlich Kunst?
„Ich würde gerne Geld in Kunst, Kultur und Bildung fließen lassen. Der Beweis der Richtigkeit dafür hingegen, dass es den ÖsterreicherInnen dadurch in Zukunft besser ginge als heute, müsste erst erbracht werden.“ (Susanne Jerusalem)
Für dieses Statement wurde die frühere Politikerin der Grünen in den sozialen Medien heftig gerügt. Der Anwurf, bei ihr selbst sei „Bildung wohl nicht sehr zielführend gewesen“, war noch einer der harmloseren. Die meisten Schmähungen wollten aber einfach zum Ausdruck bringen, dass sich Kunst, Kultur und Bildung als Zentralanstalten gesellschaftlicher Verbesserung quasi von selbst zu verstehen hätten. Ein Idiot der oder die, wer da nicht in den Affirmationschor einstimmen wollte.
Und doch ist alles nicht so einfach. Schon darüber ließe sich trefflich streiten, was Österreicher*innen unter „besser gehen“ verstehen: einen besseren (oder überhaupt ein) Job, mehr Urlaub, eine Eigentumswohnung, ein Auto, oder doch eher Gesundheit und Wohlergehen, friedliches Zusammenleben, mehr politische Mitbestimmung oder Zuversicht in einer rundum verunsicherten Welt – oder einfach ein Kulturangebot, das ihren Erwartungen entspricht.
Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen und stellte angesichts eines ebenso umfassenden wie unbestimmten Erwartungshorizonts eine beträchtliche Überstrapazierung von Kunst, Kultur und Bildung dar. Noch gravierender aber sind die Einwände dort, wo es empirisch zur Sache geht. Dazu hat jüngst Bildungsforscher Aladin El-Mafaalani in seiner Studie „Mythos Bildung: Die ungerechte Gesellschaft, ihr Bildungssystem und seine Zukunft“ nachgewiesen, dass die gegenwärtige Verfassung des Bildungssystems das schiere Gegenteil dessen leistet, was es an Verbesserungen verspricht: Mit seiner Tendenz, bestehende soziale Ungleichheiten zu verschärfen, verschlechtert es die Lebens- und Karrierechancen der Betroffenen nachhaltig.
Die zwei Seiten der Kultur-Medaille: Versprechen der Verbesserung für die Eigenen – Verschlechterung für die Anderen
In den politischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre rund um Migration wurde deutlich, dass auch der Kultur eine stark ausgrenzende Tendenz innewohnt. Als solche ist zuletzt ein kulturpolitischer Trend dominant geworden, der Menschen entlang ethnisch-kultureller Grenzziehungen in Zugehörige und Nichtzugehörige trennt. Zweitere werden dann auch gleich mit dem Stigma der Verschuldensträger*innen für alles Schlechte in der Welt versehen und damit Gegenstand jeder Art von Diskriminierung. Strategien zur Verbesserung ihrer schlechten Verhältnisse sehen anders aus.
In diesem Beitrag aber will ich mich auf den Aspekt von Kunst und seine potentiellen gesellschaftlichen Wirkungen beschränken, darauf ob Kunst ein probates Mittel darstellt, die Lebensverhältnisse von Menschen zu verbessern. Ein kleiner Teil der 5 – 8 % der Bürger*innen – der Prozentsatz erweist sich in den europäischen post-industriellen Gesellschaften seit vielen Jahren weitgehend unverändert – wird diese Frage uneingeschränkt mit Ja beantworten: Sie können (und wollen) sich ein Leben ohne Kunst gar nicht vorstellen, für sie bildet Kunst ein unverzichtbares Lebensmittel. Der Befund dieser kleinen aber öffentlichkeitswirksamen sozialen Gruppe ist eindeutig: Das erzwungene Schließen des Kulturbetriebs habe ihre Lebensbedingungen nachhaltig verschlechtert.
Kann es sein, dass die Zahl der Arschlöcher bei den Kulturmenschen gleich groß ist wie bei den Kulturbanausen?
Ähnliches lässt sich für den großen Rest der Bevölkerung – trotz mannigfacher kultureller Bildungs- und Vermittlungsbemühungen – freilich nicht sagen. In seinem jüngsten Essay „Warum eigentlich Kultur?“ in der Zeitschrift Addendum spricht der Autor Michael Köhlmeier von den anderen, von der großen Mehrheit der „Männer und Frauen, die sich nie um Kunst, nie um Literatur und so weiter gekümmert haben, die weder Musik hören noch ein Buch auch nur besitzen, geschweige denn lesen, die nie ein Theater von innen gesehen haben, und die trotzdem liebevolle, empathische, interessante Menschen sind, die lachen, wenn man sie kitzelt, die weinen, wenn man sie sticht“. Und er fügt hinzu: „Ich schätze, dass die Zahl der Arschlöcher, statistisch gesehen, bei den Kulturmenschen gleich groß ist wie bei den Banausen“…..
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Bild: ©Verena Zangerle
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