Wünsch Dir was
Vor ein paar Tagen war es wieder soweit. Die SPÖ-nahe Österreichische Kulturpolitische Gesellschaft lud zu einer abendlichen Diskussion über die kommende Ressortverantwortung für Kunst und Kultur in die Universität für Musik und darstellende Kunst ein. Viele waren gekommen, vermutlich in erster Linie, um mehr zu erfahren über geplante kulturpolitische Schwerpunktsetzungen der kommenden Bundesregierung. In Ermangelung des einen oder anderen Insiders, der über den Stand der Regierungsverhandlungen hätte berichten können, gab es aber nichts Neues zu berichten. Statt dessen nahmen die BesucherInnen an einer mehr oder weniger heiteren Erstellung von Wunschlisten teil, bei der jeder der DiskutantInnen Überlegungen anstellen durfte, wo denn Kunst und Kultur künftig am besten ressortieren sollten: in einem eigenen kleinen, feinen Kulturministerium; oder wahlweise in einem gemeinsamen Ministerium zusammen mit Bildung, Wissenschaft, Sport, Soziales oder aber mit Verteidigung – ja warum eigentlich nicht?
Weil diese Art von Spintisierereien nicht abendfüllend sind, übernahmen bald diejenigen das Kommando, die solche Gelegenheiten immer schon wahrnahmen, um einerseits ihrem Kulturpessimismus à la „Mittelschüler kennen nicht einmal mehr Georg Danzer!“ Ausdruck zu geben und andererseits ihren Anspruch auf mehr Förderung für sich bzw. die eigene Berufsgruppe geltend zu machen. Und so pendelten die Wortmeldungen zwischen fragwürdigen Statements von InteressensvertreterInnen („Politiker sollen mangels Performance künftig auf Werkvertragsbasis beschäftigt werden“) und fröhlichen Assoziationen zu Gott und die Welt, die den Autor Robert Menasse den Abend mit dem Vorschlag schließen ließ, der Vorsitzende der Musikergilde Peter-Paul Skrepek solle neuer Kultur- und Verteidigungsminister auf Werkvertragsbasis werden.
Man könnte den Eindruck rasch unter der Rubrik „Skurriles“ abspeichern, wäre es nicht so symptomatisch für den aktuellen Zustand der kulturpolitischen Diskussion, der alle Haltegriffe abhandengekommen scheinen. Immerhin ist der Gesellschaft für Kulturpolitik zugute zu halten, dass sie überhaupt noch ein öffentliches Gespräch zum Thema ermöglicht, das—ginge es nach den Vorstellungen der amtierenden KulturpolitikerInnen—in der Tradition der letzten Legislaturperiode bestenfalls unter politischen Marketinggesichtspunkten stattfinden sollte, „damit nur ja nichts passiert“.
Was ergibt die Analyse der gemeinsamen Verwaltung von Unterricht, Kunst und Kultur in der letzten Legislaturperiode?
Sie können ganz beruhigt sein: mit solchen Diskussionen können die politischen Gegner gut leben (wenn sie sie überhaupt zur Kenntnis nehmen). Das Problem bleibt ganz in den eigenen Reihen; etwa, wenn sich die Veranstalter—als wäre es eine fast schon unanständige Frage—nicht einmal zur Erwähnung durchringen konnten, dass Unterricht, Kunst und Kultur in den letzten Jahren in eine gemeinsame politische Zuständigkeit fielen. Eigentlich verwunderlich, zumal jedenfalls am Beginn der Legislaturperiode große Hoffnungen erweckt wurden, eine gemeinsame Verwaltung von Bildung, Kunst und Kultur würde zu wegweisenden Synergien führen. Das Gegenteil scheint eingetreten—berücksichtigt man jedenfalls eine Wortmeldung einer Mitarbeiterin der ministeriellen Kunstsektion—wenn sie beklagt, dass sie sich jetzt auch noch um Kunstvermittlung bemühen müsse, wo doch ohnehin schon so wenig Geld für die Förderung guter KünstlerInnen da sei.
Bis in die Spitzen der Verwaltung erweist sich damit ein Klientelismus nach wie vor handlungsleitend, der Art und Ausmaß der Förderung von einzelnen KünstlerInnen zum Inbegriff von Kulturpolitik erklärt. Damit unterscheidet sich das Politikfeld—jedenfalls in seinem gegenwärtigen Zustand—wesentlich von anderen Bereichen. Immerhin lässt sich trotz der Bemühungen einzelner Fraktionen der Lehrergewerkschaft Bildungspolitik nicht mehr nur auf die Förderung dieser Berufsgruppe beschränken und auch im Gesundheitsbereich würde – bei aller Stilisierung der „Götter in Weiß“ – niemand mehr auf die Idee kommen, Gesundheitspolitik ließe sich auf die Förderung der Ärzte reduzieren.
Für den Kulturbereich bin ich mir nach vielen Diskussionen nicht mehr so sicher. Meine Frage, ob der Sektor nicht gut beraten wäre, sich angesichts der dramatischen Veränderungen, die auch vor den Grenzen Österreichs nicht Halt machen, sich auf eine konzeptive Neuausrichtung zu verständigen wurde dahingehend beantwortet, dass es ja ohnehin die Parteiprogramme gäbe. Daran würde sich zwar niemand halten; und, so der Unterton, sei man eigentlich ganz froh darüber, weil so der Eindruck vermieden werden könnte, die Freiheit des Kunstschaffens unterliege irgendwelchen politisch konzeptiven Einschränkungen. Fast schien es, die TeilnehmerInnen würden am Grad der Konzeptlosigkeit den Wert dessen beurteilen, was sie unter Kunst und Kultur verstehen. Und so ging es munter weiter mit: „Ich will, ich brauche, ich fordere, unglaublich, dass nicht….“
Kulturpolitik als Reflexion gesellschaftlicher Entwicklungen
Der einzige Diskutant, der aus diesem Schema auszubrechen versuchte, war der Rektor der Universität für angewandte Kunst Gerald Bast. Er sprach sich für ein Ministerium für Kunst, Kultur und gesellschaftliche Innovation aus, dessen Hauptaufgabe darin bestünde, die künstlerische Reflexion gesellschaftlicher Entwicklungen zu ermöglichen. Die MitdiskutantInnen hatten sogleich ein Todschlagargument bereit, wonach sich der Begriff der „Innovation“ ausschließlich auf unternehmerische Kontexte beziehe, die der Kunst nicht angemessen wären. Entsprechend liefen seine Versuche, eine (gesellschafts-)politische Interpretation von „Innovation“ zu geben, die sich von der einer Forschungs- und Entwicklungsabteilung eines beliebigen privaten Unternehmens, dessen erste Aufgabe es ist, die Grundlagen für neue Produkte zu schaffen, unterscheidet, ebenso ins Leere wie sein Vorschlag , Kunst und Kultur als eine Querschnittsmaterie in allen Ministerin zu verankern und sie zu verpflichten, 10% ihrer Budgets für kulturelle Implikationen in ihrem Fachbereich zu reservieren.
Es geht um Grundsätzliches
Es trifft sich, dass sich am letzten Wochenende mehrere prominente KünstlerInnen mit kulturpolitischen Statements außerhalb dieser Diskussion zu Wort gemeldet haben, die allesamt Mut gemacht, wenn auch noch nicht die Lösung aus der verfahrenen Situation aufgezeigt haben. Da moniert die Schauspielerin Sandra Cervik, Ehefrau des Direktors des Theaters in der Josefstadt, eine nachhaltige Veränderung der Wiener Theaterlandschaft. Unter dem Titel „Was macht die Kulturpolitik für die Jungen?“ schlägt sie im Presse-Interview vor, neue Theaterformen (Pop, Trash, Event,…) zugunsten neuer Publikumsschichten zu entwickeln und dabei die traditionellen Strukturen in Frage zu stellen (dass dahinter auch ein Versuch stehen könnte, der Josefstadt unliebsame Konkurrenz vom Hals zu schaffen, sei ihr unbenommen) . In eine ähnliche Kerbe schlägt der Autor Peter Rosei, der in einem Betrag zum Presse-Spectrum vom 30. November mit dem Titel „Was bleibt?) das Repertoire des etablierten Kulturbetriebs mit dem Angebot von Buchhandlungen vergleicht: „Man stelle sich einen Buchladen vor, in dem überwiegend, fast ausschließlich, kommt einem bald vor, Werke von Goethe, Schiller und Grillparzer aufliegen, dazu vereinzelt Bücher etwa von Stifter, Byron, von Leopardi ein Bändchen, von, sagen wir, Stendhal ein dickerer Roman….Was für ein seltsamer, ein irrer Laden! Würde man wohl denken. Ginge man dann die Straße hinunter und weiter in die Stadt hinein und man fände alle Buchläden der Stadt so oder ähnlich sortiert – was würde man dann wohl denken?“
Roseis Kritik richtet sich auf die anhaltende Priorisierung des längst Eingeführten: eines, auf das klassische Repertoire abgestellten Repertoires der großen Häuser und Festwochen, da oder dort aufgepeppt mit Aktuellerem oder Seltenem.
Unversehens erhält Rosei Schützenhilfe aus Deutschland, wenn der Intendant der Berliner Festspiele Thomas Oberender in einem großen Interview in Der Zeit mit dem Titel „Die alten Schemata greifen nicht mehr“ von der Notwendigkeit einer Neuverteilung zwischen „Investitionen in die Kultur der Interpretation und jenen in die Kultur der Kreation“ fordert. Er sieht die Zukunft in „hybriden Modellen“, die die traditionellen Häuser in ein kooperatives Verhältnis mit der kreativen Avantgarde bringt, um auf diese Weise ästhetische Entwicklungen zu dynamisieren.
In allen drei Fällen geht es um eine kulturpolitische Grundsatzentscheidung, die die Traditionspflege (die einen immer größeren Teil der öffentlichen Mittel verschlingt) in ein neues Verhältnis zur „Kultur der Kreation“ bringt. Die bisherige Kulturpolitik hat alles dafür getan, dieses Ungleichgewicht—weitgehend zu Lasten der Kreativen—nicht allzu sichtbar werden zu lassen („Nur keine Neidgesellschaft!“). Das Ergebnis erleben wir als Niedergang des öffentlichen kulturpolitischen Diskurses.
Es ist der Betrieb, der die Politik bestimmt
Umverteilungen passieren nicht von allein; sie bedürfen, so meine Vermutung, guter, durchdachter Argumente, eben Konzepten; sie bedürfen der öffentlichen Auseinandersetzung und sie bedürfen mutiger KulturpolitikerInnen, die bereit sind, Konflikte vor allem mit denen einzugehen, die sich an einschlägigen Diskussionen erst gar nicht beteiligen, weil sie die Macht haben, Tatsachen zu schaffen.
Beispiel gefällig: Während die einen um Peanuts diskutieren, erhalten die Vereinigten Bühnen in diesen Tagen zu ihrer Basisausstattung in der Höhe von 37,1 Mio. Euro eine weitere Budgeterhöhung im Ausmaß von 5 Mio. Euro; das entspricht dem doppelten Betrag des jährlichen Literaturförderungsbudgets und mehr als die Hälfte des Betrages, den die Stadt Wien für die Bildende Kunst ausschüttet.
In eine ähnliche Richtung gehen Eindrücke von einer Enquete mit VertreterInnen des etablierten Kulturbetriebs, zu der ÖVP-Chefverhandler Wilfried Haslauer in Sachen Bildung, Wissenschaft und Kultur Mitte November kurzfristig eingeladen hatte. Dem Vernehmen nach wurde—zumindest von einigen DiskutantInnen—der Ruf nach einer stärker konzeptiv begründeten Kulturpolitik laut, um so neue Gestaltungsspielräume zu eröffnen. Die Botschaft der VertreterInnen der großen Kulturtanker—vor allem diejenigen, die mit ihren Blockbuster-Veranstaltungen das Kulturinteresse an sich zu binden vermögen—war eindeutig: Kulturpolitik solle es ja nicht wagen, irgendwelche Vorgaben zu machen. Ihre Aufgabe habe sich auch in Zukunft darauf zu beschränken, die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen und ansonsten die Finger vom Kulturbetrieb zu lassen.
Und so wird es wohl kommen: Die Handlungsspielräume der Kulturpolitik werden weiter kleiner werden. Und meine Vermutung wird sich bestätigen, dass die Direktoren einiger weniger Einrichtungen die wahren kulturpolitischen Entscheidungsträger sind.
Da kann es schon als ein Zeichen der Ermutigung gelten, dass die Freie Szene dagegen Widerspruch erhebt und auf entsprechende Ungleichbehandlung hinweist.
Nicht den DiskutantInnen der Podiumsdiskussion, sondern den Medien war zu entnehmen, dass das Kulturkapital im geplanten Koalitionsabkommen bereits seit Mitte November abgeschlossen sei. In dem Zusammenhang wurde ein „großer Wurf“ angekündigt, dessen Realisierung freilich noch von den BudgetverhandlerInnen ermöglicht werden muss.
Deutschlands neues kulturpolitisches Programm: „Kultur ist eine Investition in unsere Zukunft“
Anders die Situation in Deutschland, wo vorige Woche bereits ein ausverhandelter Entwurf eines Koalitionsvertrages einer „GroKo“ veröffentlicht wurde. Darin findet sich ein umfangreiches Kulturkapitel, in dem sich eine Reihe konzeptiver Überlegungen wie eine engere Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern, integrationspolitische Implikationen, Urheberrecht in Zeiten der digitalen Medien oder—da kann Deutschland von Österreich lernen—Neuregelungen im Umgang mit NS- Raubkunst finden. Aufhorchen lässt u.a. die Absicht, „Förderkriterien erarbeiten zu lassen, um eine systematisch und eindeutig strukturierte Förderkulisse zu erreichen“, die mehr Transparenz für kulturpolitische Entscheidungen schafft und darüber aufklärt, warum eine Institution viel stärker als die andere gefördert wird.
Die ersten Reaktionen der deutschen Kulturszene fallen positiv aus. Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats und damit oberster Interessensvertreter der deutschen KünstlerInnenschaft Olaf Zimmermann, meinte dazu: „Noch nie wurden in einem Koalitionsvertrag auf der Bundesebene so ausführlich und detailreich Vereinbarungen zu Kunst und Kultur getroffen. Ich freue mich sehr, dass damit der Kulturpolitik auf der Bundesebene eine solche Bedeutung gegeben wird. Es wird damit aber auch deutlich, vor welchen großen Aufgaben die Kulturpolitik des Bundes in der neuen Legislaturperiode steht. Besonders die soziale Sicherung der Künstler und die Entwicklung eines dem digitalen Zeitalter angemessenen Urheberrechtes werden zu den großen Aufgaben zählen.“
Bleibt die vage Hoffnung, bei Inkrafttreten eines neuen österreichischen Koalitionsvertrages ähnliches berichten zu können. In der Zwischenzeit können wir uns freuen, dass sich Hilde Hawlicek – Unterrichts- und Kunstministerin zwischen 1987 und 1990 – bei der Diskussion der kulturpolitiscvhen Gesellschaft für ein arbeitsloses Grundeinkommen ausspricht, das KünstlerInnen aus ihrer demütigenden Bittstellerrolle zur Aufrechterhaltung ihre prekären Lebensgrundlagen befreit.
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