Zukunft braucht Haltung
In diesen Tagen fand in Berlin eine Veranstaltung mit dem Titel „Zukunft ist jetzt!“ statt. Gemeinsam wollten sich die deutsche Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und der Bundesverband kultureller Bildungsarbeit (bkj) mit den TeilnehmerInnen darüber verständigen, in welcher Weise der Begriff der Nachhaltigkeit nicht nur ökologisch, ökonomisch und sozial sondern auch politisch und kulturell produktiv gemacht werden kann.
Der deutsche Soziologe Niklas Luhmann hat einmal gemeint, der Terminus „Kultur“ gehöre zu einem der schrecklichsten, die jemals gebildet worden wären. Heute scheint ihm der Begriff der Nachhaltigkeit den Rang abzulaufen, wenn es darum geht, den grassierenden Kulturpessimismus in zukunftsorientiertes Handeln zu transformieren.
Und so war dann auch der Tenor der meisten Beiträge, die sich allesamt auf die Hoffnung auf eine bessere, in jedem Fall Ressourcen schonende Zukunft bezogen, in der sich das als zentral angesehene Problem des Klimawandels in Wohlgefallen auflöst (oder zumindest durch ein anders globales Horrorszenario ersetzt wird).
Nun war ja die Definitionsmacht dessen, was die Zukunft bringen würde, lange Zeit in den Händen einiger weniger Machtträger, sei es aus den Bereichen der Religion (die zumindest ein besseres Jenseits zu versprechen wussten) oder denen der Ideologie (die das Paradies bereits auf Erden herbei zu philosophieren vermochten). Der großen Mehrheit blieb die Aufgabe, sich mit den Alltagssorgen herumzuschlagen und im Übrigen zu hoffen, dass im Laufe ihres Lebens keine gröbere Katastrophe eintritt.
Diese verordneten Zukünfte haben in den letzten 50 Jahren eine Reihe überzeugender Werte geschaffen, die – jedenfalls in weiten Teilen Europas – ein bislang ungeahntes Ausmaß an Demokratie, Stabilität und Sicherheit mit sich gebracht haben.
Es gibt also noch etwas zu verteidigen, nicht nur bei den Mittelschichten, aber dort ganz besonders. Und dieser Verteidigungswille macht sich in einer nostalgischen Rückschau („Früher war alles besser“), vor allem aber in einem alle Lebens- und Arbeitsbereiche umfassenden Sicherheitsanspruch bemerkbar, die die sozialen Sicherheitssysteme zunehmend belasten, egal wie treffsicher sie noch sind. Aber auch im täglichen Leben schließen wir allerorten Versicherungen ab und setzen Helme auf sodass es nicht mehr lange dauern wird, dass die TeilnehmerInnen solcher Veranstaltungen gefordert sein werden, umfassende Schutzkleidungen zu tragen, weil ja immer irgend etwas passieren kann.
Das Paradox an der Sache: Entgegen der objektiven Verbesserung der Sicherheitslage nimmt das subjektive ebenso wie das kollektive Gefühl der Unsicherheit dramatisch zu. Überall lauern Gefahren, die von Kriminalität, ungesunder Ernährung, Bankenkrise, politischem Chaos bis zum globalen Zusammenbruch reichen.
Und so outet sich eine erwachsene und gesellschaftspolitisch selbstgenügsam gewordene Generation, die über einen bislang unbekannten Reichtum gepaart mit Entscheidungsfülle verfügt, mit der Botschaft: „Wir haben es nicht mehr im Griff!“. Sie kündigt den bisherigen Generationenvertrag auf, in dem sie der nachwachsenden Generation eine doppelte Aufgabe überträgt: Sie soll einerseits selbst schauen, wie sie mit der von ihnen verursachten, scheinbar undurchschaubar gewordenen Komplexität der Verhältnisse zu Rande zu kommen vermag und andererseits soll sie gewährleisten, dass sich „nichts ändert“, zumal jede Veränderung nur eine Verschlechterung bedeuten kann.
Zur Absicherung sind wir täglich mit einem medialen Geplärre konfrontiert, das uns mit immer neuen apokalyptischen Vorhersagen, auf die unbedingte Notwendigkeit einstimmt, dass Zukunft – koste es was es wolle – in keinen Fall stattfinden darf.
Das kostet vor allem viel Energie, das alles auszuhalten und stimmt uns darauf ein, dass wir drauf und dran sind zu vergessen, dass die Unvorhersehbarkeit von Zukunft einen ganz besonderen Wert darstellt, den wir nicht so einfach preisgeben sollten. Immerhin macht der Umstand, dass wir die Welt nicht voraussagen können, eine besondere Qualität eines auf demokratischen Errungenschaften basierenden Zusammenlebens aus. Sie ist Ausdruck davon, dass nicht mehr einige wenige über die Zukunft (bzw. unser aller Erwartungen an sie) bestimmten können, sondern dass Zukunft das Ergebnis eines auf Vielstimmigkeit gerichteten öffentlichen Diskurses ist, an dem mit prinzipiell ungewissem Ausgang alle eingeladen sind, teilzunehmen.
Damit aber erweist sich der Wert der Unvorhersehbarkeit von Welt ident mit einem Grundvertrauen ins Leben, das durchaus um seine permanente Gefährdung weiß und doch bereit ist, sich diesen Gefährdungen auf immer neue Weise zu stellen und sich daran lernend abzuarbeiten.
Wenn es also um „Zukunftsfähigkeit“ geht, dann scheint mir die Fähigkeit, eine positive Haltung zum Leben zu entwickeln als eine Grundvoraussetzung. Besonders gefordert sind in diesem Zusammenhang kulturelle ebenso wie politische Bildung, die sich in diesem Zusammenhang als so etwas wie siamesische Zwillinge erweisen: Wenn sie kulturelle Bildung um die Schaffung und Verinnerlichung individueller und kollektiver Wertvorstellungen bemüht dann scheint mir politische Bildung als Form der Einübung in Verfahren, diesen Werten Ausdruck und Durchsetzungskraft zu verleihen.
Junge Menschen brauchen beides, einerseits Orte, in denen sie die ihnen entsprechenden Wertvorstellungen entwickeln und entfalten können und andererseits Arenen, in denen sie die mit diesen Werten verbundenen Interessen einbringen und mit anderen messen können. Im Übrigen bin ich überzeugt, dass junge Menschen mit dem jeweiligen Label kulturelle oder politische Bildung so lange nichts anfangen können, als deren Angebote sie nicht als ganze Personen anzusprechen vermögen. Ihre Bereitschaft zur Mitwirkung wird sich also daran bemessen, ob sie sich als ganze Persönlichkeiten (und damit mit ihrem Verstandeskräften ebenso wie mit ihrem sinnlichen Vermögen) angesprochen fühlen, kulturell UND politisch.
Damit „Zukunft jetzt!“ sein kann, bedarf es einer positiven Haltung der Beteiligten zu sich selbst, zu ihrer unmittelbaren Umgebung und darüber hinaus zur ganzen, ihnen erfassbaren Welt. Sie ist Voraussetzung für eine aktive Beziehung zur Welt, die so als eine permanent lernende begriffen werden kann.
Das klingt noch recht theoretisch. Und doch hat bei dieser Veranstaltung ein Team junger Menschen mit dem Titel „team global“ mitgewirkt, die diese Werte auf ganz persönliche Weise verkörpert hat. Als ein bundesweit aktives Netzwerk von jungen „TeamerInnen“ haben die jungen AktivistInnen für die TeilnehmerInnen unmittelbar erfahrbar gemacht, was es bedeutet, eine aufrechte und motivierende Haltung zu sich selbst, zu den übrigen TeilnehmerInnen und zu den Herausforderungen einer sich globalisierenden Welt zu entwickeln.
Als „peer4peer learning group“ gehen die jungen Leute mit aufrechtem Gang und doch ohne jede Besserwisserei in Schulen, diskutieren mit den SchülerInnen aktuelle Probleme und entwickeln jugendspezifische Lösungen. Ihr Ziel ist es, „in einer turbulenten Zeit selbstbestimmtes und verantwortliches Handeln zu stärken“.
Das ist ihnen im Rahmen der Veranstaltung gelungen. Für mich haben sie den eigentlichen Beweis erbracht, dass es sich lohnt, auch und gerade angesichts der apokalyptischen Szenarien, mit denen wir (aus wie ich vermute, durchaus politisch-strategischen Gründen) überschüttet werden, das Grundvertrauen ins Leben zu behalten, auf dass Zukunft auch in Zukunft gemeinsam gestaltet werden kann.
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