Zum Generationenwechsel bei der EDUCULT-Geschäftsführung
Aus der Sicht des Alten
Am Beginn einer Unternehmensgründung steht oft eine unsichere Suchbewegung. In meinem Fall waren es die vielfältigen Erfahrungen und Kontakte aus der früheren Tätigkeit beim Österreichischen Kultur-Service produktiv machen zu wollen. Weit und breit kein Geschäftsplan, dafür die eine oder andere Idee, ein paar persönliche Anknüpfungspunkte und etwas Kapital aus einer kleinen Erbschaft, das ich bereit war, in das neue Unternehmen einzubringen.
Und es konnte nicht aufregender sein, sich um erste Akquisitionen zu bemühen, Kolleg*innen für eine Zusammenarbeit zu gewinnen, ein erstes öffentliches Erscheinungsbild zu gestalten und sich Gedanken darüber zu machen, wohin sich ein privatwirtschaftlich geführtes Kulturunternehmen nach seinem Start entwickeln könnte und sollte.
Der gemeinnützige Charakter seiner selbstgewählten Tätigkeiten im kultur- und bildungspolitischen Feld machte bald klar, dass damit das große Geld nicht zu machen ist. Der Antrieb musste also aus einem gesellschaftspolitischen Anliegen kommen, der sich dennoch nicht in einer naiven Sehnsucht der Selbstverwirklichung erschöpfen wollte, sondern zuallererst vom Anspruch eines professionellen Unternehmens gelenkt war.
Die Grenzen zeigten sich bereits da, wo ein hinreichender Markt für Dienstleistungen im Bereich der kultur- und bildungspolitischen Begleitforschung in Österreich zum damaligen Zeitpunkt nur sehr bedingt gegeben war. Diesbezügliche Praktiken anderer Organisatoren waren – sofern sie überhaupt nachgefragt wurden – auf öffentliche Förderungen verwiesen, wovon EDUCULT als ein eigenständiger Akteur weitgehend ausgeschlossen war. Entsprechend frühzeitig erwies es sich als unabdingbar, den Aktionsradius auf die Nachbarländer, vor allem auf Deutschland, wo kultur- und bildungspolitische Programme und Projekte der öffentlichen Hand ebenso wie von privaten Stiftungen ganz selbstverständlich einer Begleitforschung unterzogen werden sowie auf die europäische Ebene zu erweitern.
Frühere berufliche Erfahrungen helfen, aber Zuversicht in das neue Engagement ist die beste Grundlage
Als Gründer des Unternehmens mit einem halbwegs ausgewiesenen Image in der Szene wurde mir als Geschäftsführer bald bewusst, was es heißt, das volle finanzielle Risiko zu tragen und gleichzeitig die Kolleg*innen für die Zusammenarbeit unter unsicheren Bedingungen zu begeistern. Entsprechend bestand die erste Handlungsanleitung im Aufbau eines Grundvertrauens, jede nur denkbare Unwägbarkeit durchzustehen und ungeachtet aller Probleme das positive Bild eines Unternehmens mit gestalterischen Ambitionen ebenso nach innen als nach außen hoch zu halten. Bessere Zeiten würden kommen, aber man muss daran glauben und diesen Glauben mit anderen teilen. Der einfache Gedanke dahinter: Welcher potentielle Auftraggeber*innen möchte sich schon den Sermon über die Widrigkeiten, denen sein Auftragnehmer ausgesetzt ist, hören; und auch die Kolleg*innen werden damit nicht wirklich motiviert, ihr ganzes Potential einzubringen, wenn sie immer wieder hören, wie furchtbar und kompliziert alles ist.
Entsprechend sind wir in den ersten Jahren gemeinsam durch manche Hochs und auch viele Tiefs gegangen, die jedoch das Grundvertrauen in die berechtigte Existenz des Unternehmens nie in Frage gestellt haben. Dabei war es nicht eben förderlich, dass ich als Gründer aus einer staatlich geförderten Vorfeldfeldorganisation des Unterrichtsministeriums kam, wenn mir lange der falsche Verdacht anhaftete, dem Unternehmen könne ohnehin nichts passieren, es würde im Zweifelsfall von meinen früheren Auftraggeber*innen aufgefangen werden.
Auch für gemeinnützige Kultureinrichtungen ist die Kundenzugewandtheit ein Schlüssel zum Erfolg – Erfolg stellt sich nur ein, wenn die Ergebnisse gebraucht und verwendet werden
Das war leider nicht der Fall, stattdessen hing das Wohl und Wehe des Unternehmens ausschließlich von der Bereitschaft potentieller öffentlicher ebenso wie privater Auftraggeber ab, unsere Dienste in Anspruch zu nehmen. Und diese Bereitschaft ist abhängig von der Nützlichkeit des Angebotes. Als entscheidende Erfolgsfaktoren erwiesen sich die Ergebnisse von einer wachsenden Zahl von Referenzprojekten und deren Ergebnisse, mit denen Freund*innen, Partner*innen und Kund*innen in ihrer eigenen Praxis ganz konkret etwas anfangen konnten. Um diese zu erzielen, bedurfte es einer möglichst guten Einschätzung der Erwartungen. Diese mündeten in zunehmend maßgeschneiderte Angebote, ohne dabei den eigenen gesellschaftspolitischen Anspruch zu verraten. Dass es in diesem Zusammenhang immer wieder mit den Auftraggeber*innen zu interessanten, zum Teil auch kontroversiellen Diskussionen vor allem bei der Interpretation von Ergebnissen gekommen ist, versteht sich fast von selbst.
Pflege und Weiterentwicklung der Fachexpertisen der Kolleg*innen
Wenn sich das Angebot zu Beginn noch sehr breit gestreut erwies, so verdichteten sich anhand der Kompetenzen der Kolleg*innen die inhaltlichen und methodischen Schwerpunkte erst sehr allmählich. Und doch waren diese entscheidend dafür, dem Unternehmen eine längerfristige Entwicklungsperspektive zu geben. Hier war es die zentrale Aufgabe des Geschäftsführers, diesen Potentialen – nur zu oft im Gegensatz gegen eine kurzfristige kaufmännische Logik – Raum zur Entfaltung zu geben und diese in die strategische Ausrichtung des Gesamtunternehmens zu integrieren. Nur so war es z. B. möglich, dass sich EDUCULT zu einem ausgewiesenen Expert Center im Bereich qualitativer Methoden der Begleitforschung im Bereich der Kulturellen Bildung bzw. Kunst- und Kulturvermittlung national und international zu profilieren vermocht hat.
Bestand eine der zentralen Funktionen des Gründers in der Außenrepräsentation, so gelang es in der Folge den Kolleg*innen immer besser, ihre eigenen Netzwerke zu bilden und dort ihre Fachexpertise einzubringen. Damit konnten sowohl die Kontakte (und damit die Bekanntheit des Unternehmens) wesentlich ausgeweitet als auch intensiviert werden, um so das Standing in einer hochpersonalisierten Fachöffentlichkeit zu verbessern.
Ein Team aus fünf bis sieben halbwegs ähnlich gestimmter Kolleg*innen entsteht nicht von selbst. Nur die wenigsten waren von ihren bisherigen Ausbildungen und beruflichen Erfahrungen eindeutig ausgewiesen. Stattdessen bestand ein wesentliches Einstellungskriterium in der Bereitschaft, sich auf unsicheres Terrain einzulassen und „training on the job“ als eine Entwicklungschance zu begreifen. Derart in vielfältigem Austausch aufeinander bezogen kommt ein solch kleines Team flexibler und ambitionierter Fachleute gut mit einer flachen Hierarchie aus. Die meisten Entscheidungen konnten so gemeinsam getroffen werden und doch gab es den klaren Wunsch an die Geschäftsführung, einen hinreichenden Haltegriff zu bilden, um im Notfall auch unbequeme Entscheidungen durchzusetzen (in diesem Zusammenhang erinnere ich mich etwa an einen Vorwurf der Belegschaft, in einer kritischen finanziellen Phase nicht schon früher die Reißleine gezogen zu haben, um die Beschäftigungsverhältnisse an die zunehmend entleerte Haushaltskassa anzupassen). Bei aller scheinbaren Gemeinsamkeit erwies sich eine große Gefahr darin, zu glauben, in einer offenen Struktur wüssten ohnehin alle über alles Bescheid. Das ist dezidiert nicht der Fall und wir erfuhren zum Teil schmerzlich, dass wir um offizialisierte Kommunikations- und Entscheidungsformen wie etwa regelmäßige moderierte Teamsitzungen nicht herkommen.
Wie kann man als kleiner Akteur in einem unberechenbaren Umfeld bestehen?
In Kulturellem Management ausgebildet legte ich durchaus Wert auf die Einführung professioneller Management-Methoden. Und doch wurden die darauf beruhenden Planungen durch unvorhersehbare Änderungen des Umfeldes immer wieder völlig über den Haufen geworfen, was unsere Frustrationstoleranz zum Teil heftig strapazierte und doch zu flexiblen Reaktionen zwang. Wer wie wir erlebt hat, dass selbst nach intensivstem Bemühen um neue Aufträge, die Auftragsbücher für mehr als ein halbes Jahr leer bleiben und die Liquiditätsreserven zu Ende gehen, kann den Kolleg*innen gar nicht genug danken, dass sie in diesen prekären Phasen ein hohes Maß an Loyalität bezeugt haben. Ganz offensichtlich war auch in ihren ausgesetzten Positionen der Glaube an eine gute Weiterentwicklung größer als ihre nur allzu berechtigte Skepsis. Unabdingbare Voraussetzung dafür war wohl, dass wir den Anspruch, nicht nur auf bessere Zeiten zu warten, sondern das Umfeld trotz aller Widrigkeiten aktiv mitgestalten zu wollen, niemals aufgegeben haben.
Es gab immer wieder personelle Wechsel. Damit geht wichtiges Knowhow verloren, zugleich kommt neues nach, das – das lässt sich in der Rückschau sagen – dem Unternehmen immer wieder einen dynamischen Schub verliehen hat. Für mich ist es im Nachhinein eine große Freude, EDUCULT als eine Art „Durchlauferhitzer“ zu sehen, in dem die im Unternehmen tätigen Kolleg*innen nicht in eine Sackgasse gemündet sind, sondern nach ihrem Ausscheiden neue berufliche Chancen ergriffen haben, die uns in zum Teil ganz anderen Kontexten wieder zusammen geführt haben. Ja und es gab auch Streit um die strategische Ausrichtung, nicht alle Engagements endeten friktionslos. Und doch erwies sich der Zusammenhalt im letzten wesentlich stärker als so manche Sollbruchstelle.
Wenn das Pensionsantrittsalter näher rückt
Ja und dann rückt das Pensionsantrittsalter des Gründers näher und die Frage stellt sich nicht nur für ihn persönlich, wie es weitergehen könnte. Die ersten Versuche bestanden in der Suche nach jemandem, der oder die das Unternehmen gerne weiterführen und mit seiner/ihrer eigenen Handschrift versehen möchte. In der Belegschaft selbst waren die Ambitionen enden wollend. Als sich ein junger Wissenschafter um die Nachfolge bewarb und diese als stellvertretender Geschäftsführer auch probehalber antrat, gab er nach einigen Monaten auf. Es waren für ihn die falschen Schuhe, in die er am Ende nicht schlüpfen wollte. Zu prekär schien ihm die finanzielle Basis und vielleicht auch zu unklar das unternehmerische Profil, dessen fehlende Augenscheinlichkeit als ein in vielen Feldern grasendes außeruniversitäres Forschungs- und Managementinstitut vom Image von mir als institutioneller Repräsentant immer unzureichender überdeckt werden konnte.
Handlungsoptionen und Zufälle
Mehrere Optionen taten sich auf: Nach diesem ersten Fehlschlag stand einiges dafür, es einfach gut sein zu lassen und das Unternehmen zu schließen; eine andere Option bestand im Versuch, eine mehr oder weniger enge Kooperation mit einem Partnerinstitut einzugehen bzw. mittelfristig zu fusionieren. Blieb noch eine dritte Option, doch noch jemanden zu finden, der sich eine Übernahme der Geschäftsführung vorstellen konnte.
Und da spielt – jedenfalls in unserem Fall – der Zufall eine große Rolle. Als Absolvent der Universität Hildesheim kam Aron Weigl eines Tages mit einem Empfehlungsschreiben des Direktors des Instituts für Kulturpolitik einfach so bei der Türe hereinspaziert und interessierte sich für einen Job bei EDUCULT. Es bedurfte eines weiteren Zufalls, der EDUCULT einen größeren Auftrag des deutschen Auswärtigen Amts bescherte, der dem Newcomer seinen ursprünglichen Wunsch erfüllte und indem ihm als Projektleiter der Sprung ins kalte Wasser gelang.
Und wieder begann eine herausfordernde Phase des „learning by doing“, in der – jedenfalls in meiner Beobachtung – rasch klar wurde, dass Aron Weigl das Zeug hätte, die Geschäftsführung zu übernehmen. Er verfügte von Anfang an über hohe Akzeptanz im Team, war von einem hohen inhaltlich-methodischen Anspruch getrieben, ging mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen sorgfältiger um als ich und war zudem von klar artikulierten gesellschaftspolitischen Ambitionen geleitet, ohne freilich dabei seinen Geschäftssinn zu leugnen. Eine damit verbundene Neugierde auf aktuelle Entwicklungen und Trends ließ ihn rasch in das bestehende Kontaktnetzwerk als akzeptierter Ansprechpartner einsteigen. Mit seiner raschen Auffassungsgabe zeigte sich bald eine besondere analytische Fähigkeit, die Dinge auf den Punkt zu bringen und in ganz konkrete Entscheidungen einfließen zu lassen.
Was es für den Alten zu lernen gilt
Wenn wir nun auf das erste Jahr der Übergabe der Geschäftsführung zurückblicken können, so erwies sich diese – jedenfalls aus unserer Sicht – als mehr als erfolgreich.
Für meinen Teil als abtretender Gründerfigur bestanden die Lernschritte vor allem darin, loslassen zu lernen. Ja, das kann da oder dort weh tun, wenn bislang wesentliche Teile der persönlichen Sinnfindung in der Führung eines Unternehmens, das ich selbst gegründet habe, bestanden haben. Die bange Frage: „Und was werde ich jetzt machen?“ wollte in aller Dringlichkeit beantwortet werden. Zugleich überkam mich eine große Erleichterung: Ab sofort gab es jemanden, der das Tagesgeschäft zum Teil viel besser als ich übersieht und mit aller Sorgfalt des Newcomers lenkt. Und so bestand die größte Sorge in der Überantwortung einer Mehrfachbelastung an den neuen Leiter. Mir war aus langjähriger Erfahrung nur allzu bewusst, dass die Kombination aus unmittelbaren Geschäftsführungs-Agenden zusammen mit der Mitwirkung an einer Reihe von Projekten sowie die Notwendigkeit, sich in der Fachöffentlichkeit in der neuen Funktion zu präsentieren, jedenfalls auf Dauer schon sehr auspowernd wirken kann.
Und doch konnte ich nur mehr bescheiden helfen: Übergabe heißt Übergabe. Nichts erscheint mir gefährlicher für den künftigen Erfolg des Unternehmens, als sich mit dieser grundlegenden Personal-Entscheidung noch einmal in die Details einmischen zu sollen; dafür ist ab sofort jemand ein in seinen Zuständigkeiten klar gekennzeichneter neuer Geschäftsführer zuständig. Und daher sind alle Versuchungen, über den Kopf des neuen Geschäftsführers hinweg, noch einmal mit einzelnen Teammitgliedern das Unternehmen betreffende Vereinbarungen zu versuchen, schlicht als destruktiv anzusehen.
Was zur Freude des Alten beiträgt
Mir bleibt die Freude, dass das Leben weitergeht und das Unternehmen, das ich gegründet habe, erwachsen geworden ist und nunmehr seiner eigenen, von mir unabhängigen Entwicklungslogik folgt. Und ich darf von der Seite beobachten, wie sich da ein neues Team formiert, das ein Stück anders miteinander umgeht und doch der alten Tradition des Miteinander im Wunsch, gemeinsam gesellschaftspolitische Ziele zu verfolgen, eine neue Gestalt gibt.
Darüber hinaus wird es auch in Zukunft Gelegenheiten geben, den Kolleg*innen den Rücken zu stärken, wenn sich Situationen wieder einmal als schwierig erweisen und ich aus der eigenen Erfahrung Gelassenheit und Zuversicht im Umgang mit Unvorhersehbarkeiten vermitteln kann. Und natürlich kann ich auch weiterhin Knowhow zur Verfügung stellen, aber nur, wenn dieses explizit nachgefragt oder Feedback über einzelne Entwicklungsschritte, wenn ein solches gewünscht wird.
Dem Alten bleiben die (neuen) eigenen Wege
Mit dem Ende meiner Geschäftsführungstätigkeit bin ich als Vorsitzender in den Vorstand des Unternehmens gewechselt und reihe mich so ein in eine Unterstützergruppe von Fachleuten, die das gesellschaftspolitische Anliegen von EDUCULT teilen. Dazu entwickle ich gerade eine Reihe neuer Tätigkeitsfelder, sei es sprechen, unterrichten, moderieren und schreiben (michael-wimmer.at) und manchmal finden wir uns zur Durchführung eines speziellen EDUCULT-Projektes in Ergänzung unserer Fachkompetenzen zusammen und hören nicht auf, voneinander zu lernen.
Entlassen in eine neue Freiheit bin ich gerne bereit, ähnliche Generationswechsel in anderen gemeinnützigen Unternehmen zu begleiten und zu beraten.
Aus der Sicht des Neuen
Es ist das Ungewisse, das nicht zu fassen ist, das anzieht und dazu drängt, einen Schritt in seine Richtung zu machen. Wahrscheinlich ist es die Neugier, zu sehen, was einen hinter der nächsten Ecke erwartet, ohne es im Vorfeld wissen zu können. Letztlich war das und der Wunsch, Kulturpolitik und Kulturelle Bildung in einem inspirierenden Umfeld weiter beforschen zu können, der Grund, einen Fuß in das Büro im dritten Stock des MuseumsQuartiers Wien gesetzt zu haben. Es gibt nicht viele Orte im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus, wo das beides gleichermaßen geschehen kann und seinen Platz hat. EDUCULT ist ein Juwel. Das ahnte ich nur, bevor ich das Unternehmen kennen lernte. Mit jedem Tag hier wurde mir das klarer.
Seinem Gründungsdirektor Michael Wimmer ist es gelungen, ein Forschungs- und Projektinstitut am Markt zu positionieren, wo auf den ersten Blick kein Markt existierte. Dass die Existenz in einer Nische durchaus möglich ist, zeigt das fünfzehnjährige Leben des Unternehmens. EDUCULT war und ist dabei nicht nur ein Akteur, der auf die Entwicklungen reagiert und sich mit großer Flexibilität angepasst hat, sondern diese Entwicklungen selbst mitgestaltet. Das darf ich an dieser Stelle betonen, denn es ist nicht mein Verdienst, dass dies geschehen konnte.
Wie der Übergang gelingen kann
Über die Jahre haben sich durch die Umtriebigkeit des ehemaligen Geschäftsführers und durch die spezifischen Kenntnisse der Kolleg*innen Arbeitsschwerpunkte gebildet, die EDUCULT geprägt haben: Evaluationen von Projekten und Programmen der Kulturellen Bildung und der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, europäische Kooperationen und kulturpolitische Studien, sozialwissenschaftliche Forschungsmethoden, Inter-/Transkulturalität und Diversität als Querschnittsfelder. Die Arbeitsteilung und die Gesamtheit der fachlichen Schwerpunkte erlauben heute einerseits ein breites Portfolio vorzuhalten und andererseits klare Expertisen zu definieren – bei aller Offenheit gegenüber neuen Entwicklungen.
Es sind dabei vor allem gesellschaftliche Entwicklungen, in denen EDUCULT stetig bestehen muss. In einem wohl noch tiefergehenden Veränderungsprozess steckt EDUCULT aber aktuell aufgrund des Geschäftsführerwechsels. Parallel dazu ergaben sich einige Karenzen von langjährigen Kolleg*innen und der Start zweier neuer Kolleg*innen. Fast könnte man von Umbruch sprechen, wäre da nicht der Anspruch gewesen, Kontinuität und Erneuerung zu vereinen, also den Geschäftsbetrieb erfolgreich weiterzuführen und zugleich das Profil weiter und in veränderter Teamkonstellation neu zu denken. Einerseits sind es die Strukturen eines am Markt geprüften Unternehmens wert, beibehalten und gestärkt zu werden. Andererseits ist ein Leitungswechsel immer auch eine Chance, Prozesse zu optimieren, Leerstellen zu befüllen und allenfalls hier und da anzupassen.
Dass diese Dialektik bislang gelungen ist, liegt meines Erachtens an zwei Dingen: erstens am gemeinsamen Wunsch aller Beteiligten – nicht nur des ehemaligen und des neuen Geschäftsführers, sondern des ganzen Teams –, das Unternehmen auf einen guten Weg zu bringen, und zweitens am Engagement, dafür zusammenzuarbeiten und dabei eigene Befindlichkeiten weniger wichtig zu nehmen. Unter anderem bedeutete das für Michael Wimmer sicherlich, immer wieder Abstand zu suchen, wo er früher gesteuert hätte. Ich weiß, wie schwierig das sein kann. Und das bedeutete für mich, nicht sofort alles der vergangenen Jahre, was in den eigenen Augen vielleicht anders hätte laufen können, umzuwerfen oder zu kritisieren, sondern erst einmal wahrzunehmen und die Gründe für das frühere Handeln nachzuvollziehen. Auch das ist nicht immer einfach. Das erste Jahr zeigt, dass sich diese empathischen Handlungsweisen lohnen, weil sie sicherstellen, dass der Weg gemeinsam gegangen werden kann und damit weder bestehende Expertisen verloren gehen noch das neue Engagement abgewürgt wird.
Ein absolutes Einlassen auf das, was da kommt
Dass so ein Wechsel nicht von heute auf morgen passieren kann, ist klar. Bereits ein gutes halbes Jahr vor der offiziellen Geschäftsübergabe haben wir die Leitungsaufgaben aufgeteilt, sodass der Jahresbeginn 2018 einen weichen Übergang bedeutet hat. Zumindest mir kam es so vor, als habe sich außer einer offiziellen Übergabe erst einmal nichts weiter geändert. Diese Wahrnehmung wandelte sich dann von Monat zu Monat. Mit dem ganz bewussten Rückzug von Michael Wimmer aus dem alltäglichen Geschäft wuchsen die Aufgaben und das Jahr 2018 wurde doch ein ganz anderes als das vorherige.
Während die Arbeit im Forschungsteam zwar durch die Karenzierung von Kolleg*innen arbeitsintensiver wurde als gedacht, aber in der Umsetzung mir gut vertrauten Prozessen folgte, gesellte sich zu den mir im Grunde ebenfalls bekannten Prozessen der Unternehmensleitung ein neues Gefühl: das Tragen der finanziellen Verantwortung. EDUCULT ist ein gemeinnütziger Verein und arbeitet nicht gewinnorientiert. Die Herausforderung, am Ende des Jahres eine ausgeglichene Bilanz vorweisen zu können, ist allerdings nicht zu unterschätzen. Ohne größere regelmäßige Fördersummen ist EDUCULT darauf angewiesen, selbstständig Projektgelder zu akquirieren. Diese Projekte dauern für gewöhnlich zwischen zwei Monaten und einem Jahr, seltener auch einmal zwei Jahre, wobei ein Projekt nur einen Bruchteil des Jahresbudgets abdeckt. Dadurch ergibt sich die Notwendigkeit, rund zehn Projekte parallel umzusetzen.
Es bedeutet aber vor allem eine planerische Ungewissheit. Mehr als drei Monate in die Zukunft zu denken, ist zumindest nicht im Detail möglich. Das bedeutet in letzter Konsequenz eine Unsicherheit für alle Kolleg*innen. Diese Unsicherheit so gut es geht abzudämpfen, empfinde ich als Aufgabe der Geschäftsführung und zugleich als deren Bürde. Der Arbeitsalltag verlangt ein absolutes Einlassen und die Offenheit für alles Neue. Zugleich braucht es eine gewisse Abgrenzung von eben diesem Druck der finanziellen Ungewissheit. Und wie Michael Wimmer schreibt, ist es nichts, was die Arbeit im Team oder gar den Kontakt mit Partner*innen und unserem Netzwerk beeinträchtigen darf. Hier lerne ich gerne von meinem Vorgänger, dem es gelang, die Motivation, inhaltlich etwas zu bewirken, stets als höchste Priorität zu setzen.
Kritisch bleiben und dennoch handeln
Der wissenschaftliche kritische Blick und der unternehmerische Handlungsdrang – wie soll das zusammengehen in einem Forschungs- und Projektunternehmen, das davon lebt, zu hinterfragen und zugleich zu gestalten? Mir scheint das eine gesellschaftliche Grundfrage zu sein, die sich im Kleinen alltäglich in unserem Institut abspielt. Besonders in der Person des Geschäftsführers, der zugleich Forschungsprojekte leitet, kulminieren diese beiden Anforderungen. Wie gelingt der Spagat zwischen der kritischen Auseinandersetzung mit unseren Lebenswelten zum einen und deren aktiven Gestaltung zum anderen? Mehr und mehr scheint mir der Erfolg darin zu liegen, diese Aspekte nicht als Gegensätze zu sehen, sondern sie vielmehr als zwei Seiten derselben Medaille zu begreifen. Es braucht eine gute Mischung aus natürlichem Zweifel und einem auf Neugierde beruhenden Drang, etwas zu „erreichen“, ja Gesellschaft mitzugestalten.
Selbstverständlich steht im Hintergrund eine idealistische Vorstellung von gesellschaftlichem Zusammenleben. Dass diese Idee von allen Kolleg*innen – ohne das täglich zu formulieren – geteilt wird, kristallisiert sich in Teamsitzungen und Klausuren immer mehr heraus. Es wird unsere Aufgabe sein, diese Vision noch klarer herauszuarbeiten und letztlich nach außen zu kommunizieren. Das geschieht bereits über die einzelnen Projekte, für das Gesamtunternehmen EDUCULT steht es noch aus. Ein neuer Vorstand hilft in diesem Prozess, was eine sehr erfreuliche Entwicklung ist.
„Und wieder ein Mann …“
Hätten wir im ersten Jahr etwas besser machen können? Wenn es etwas gibt, dann vielleicht mehr Kritik zu üben – natürlich konstruktiv auf die Sache bezogen und nicht persönlich. Sich gegenseitig zu spiegeln, mit welchen Punkten des Übergangs man vielleicht weniger glücklich war, wäre durchaus denkbar gewesen. Vielleicht gab es dieses Unwohlsein aber einfach nicht in nennenswertem Ausmaß.
Wenn mir bislang eine Kritik in Bezug auf den Wechsel begegnete – und in diesem Fall nicht von meinem Vorgänger –, dann die, dass ich keine Frau bin. In der Tat tut es mir selbst leid, dass ich nicht dazu beitragen konnte, dass EDUCULT eines der Unternehmen werden konnte, in dem Leitung nicht nur im grammatikalischen Sinne weiblich gedacht wird. Da in den letzten Jahren bis heute die Kolleg*innen fast ausschließlich, mit Ausnahme von vor allem männlichen Praktikanten, weiblich waren, wäre es eine logische Konsequenz gewesen, wenn eine Frau die Geschäftsführung übernommen hätte. Damit kann ich nicht dienen. Was aber durchaus eines der Ziele in der Entwicklung der Teamstruktur sein muss, ist die gleichwertige Einbindung aller Kolleg*innen.
EDUCULT war von Beginn an flacher hierarchisch organisiert, was aufgrund der Teamgröße und des inhaltlichen Anspruches sinnvoll war und ist. Diese Struktur gilt es variabel zu halten. Ein steter Austausch über die Interessenlagen aller Kolleg*innen kann auch zu einer stärkeren Verteilung von Verantwortlichkeiten führen, das Wohl des Unternehmens dabei nicht aus den Augen verlierend. Im besten Falle steht sich das nicht im Weg, sondern weckt Synergien. Ich bin durchaus bereit, neue Modelle auszutesten. Mit der diesjährigen Rückkehr von drei karenzierten Kolleg*innen steht eine erneute Umstrukturierung im Team ohnehin an. Das wollen wir zum Anlass nehmen, den Wandel auch 2019 weiter zu gestalten – nicht nur personell, sondern auch inhaltlich. Dass uns der ehemalige Geschäftsführer und der neue Vorsitzende des Vereinsvorstandes dabei als Rat- und Ideengeber und allenfalls als Projektpartner verbunden bleibt, wäre uns ein großes Geschenk.
Schlussbemerkung
Bedauernswert an der Tatsache, Geschäftsführer zu sein, ist eigentlich nur eines: Um die Zeit zum Schreiben eines Textes, wie diesem, der nicht Bericht, nicht Angebot, nicht Projektkonzept, nicht Forschungsdesign und nicht wissenschaftlicher Artikel ist, will mühsam gerungen sein. Dass der ehemalige Geschäftsführer mehr Muße für Artikel dieser Art zur Verfügung hat als der aktuelle, ist auch eine Folge der neuen Aufgabenverteilung – eine Konsequenz, mit der vor allem der neue leben lernen muss.
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