Zur Konferenz „Cultural Policies in Cities“ an der Universität für angewandte Kunst Wien
Die Szenerie erscheint auf den ersten Blick mehr skurril: Ausgerechnet im ehemaligen Refektorium des Klosters im Wiener Heiligenkreuzer Hof finden sich an den Wänden künstlerische Positionen, mit denen der Kurator Shaheen Merali im Rahmen seiner Ausstellung „Fragile Hands. A Curatorial Essay on Stated Subjectivities“ politische und soziale Veränderungen aufzeigen möchte, die sowohl eine imaginierte als auch die reale Globalisierung mit sich bringen. Dazu hat er ästhetische Positionen aus der ganzen Welt zusammengetragen, um, wie er meint „die Hybris des globalen Kapitalismus im Gewand der Demokratie in Frage stellen“. Zwischen zwei Arbeiten gibt ein Fenster unvermittelt den Blick von oben auf die Bernardikapelle frei, die in ihrer barocken Prachtentfaltung den Kontinuitätsanspruch eines feudalen Herrschaftssystems von Gottes Gnaden repräsentiert.
Just in diesen harten und verwirrenden Widerspruch von Eindrücken des Einst und Jetzt hat die Universität für angewandte Kunst eine Konferenzanordnung hineingebaut, um einen Tag lang die wachsende Bedeutung von „Kulturpolitiken in Städten“ zu thematisieren. Gekommen war eine Reihe von GesprächspartnerInnen, nicht nur aus europäischen Zentren, sondern auch aus Jerusalem/Ramallah, Istanbul, Teheran und Kairo; allesamt Städte, in denen zurzeit heftige politische und soziale Probleme das städtische Leben bestimmen. Entsprechend groß war das Interesse, mehr darüber zu erfahren, welche Rolle in diesen Auseinandersetzungen KünstlerInnen im Besonderen und Kulturpolitik im Allgemeinen zukommt.
Kultur als integrativer Bestandteil der städtischen Wertschöpfungskette?
Mit der inhaltlichen Vorbereitung der Veranstaltung beauftragt, konnte ich mich auf die Ergebnisse der Vorläufer-Konferenz beziehen, die 2013 unter dem Titel „Reinventing Cultural Policy?“ stattgefunden hat. Die beiden zentralen Botschaften, die damals von Helmut Anheier von der Hertie-Universität in Berlin formuliert wurden, bestanden einerseits darin, Abschied zu nehmen von der Vorstellung, der globale Kunstbetrieb finde seinen Nabel nach wie vor in Europa und andererseits in der wachsenden Bedeutung von Städten als Zentren der gesellschaftlichen Entwicklung. Daraus folgerte Anheier, die zentrale Aufgabe von Kulturpolitik bestünde künftig darin, die Integration des städtischen Kulturbetriebs in die Ausgestaltung einer Wertschöpfungskette zu gewährleisten, die möglichst viele Wirtschaftsbereiche umfasse. Es sei das Vorhandensein eines integrativen Konzeptes, das Kultur mit Tourismus, Bildung, Freizeitgestaltung oder Verkehr zu verbinden wüsste, das über die Attraktivität des Standorts im globalen Wettbewerb entscheide. Ziel sei es, smart money, darüber hinaus smarte Unternehmen, smarte Kultureinrichtungen und smarte KünstlerInnen anzuziehen und auf diese Weise vergessen zu machen, dass nicht alles smart ist.
Unmittelbar vor der Konferenz habe ich einen Text des französischen Politikwissenschafters Pierre-Michel Menger mit dem Titel „Cultural Policies in Europe. From a State to a City-Centered Perspective on Cultural Generativity“ gefunden, der sich analytisch mit der geänderten Sichtweise auf Kulturpolitik von der staatlichen zur städtischen Ebene beschäftigt.
Kulturpolitik auf der Grundlage des europäischen Wohlfahrtstaatsmodells
Mengers zentrale These besteht darin, dass unsere traditionellen Vorstellungen von Kulturpolitik in Europa – bei aller nationalstaatlichen Unterschiedlichkeit – im Rahmen der demokratischen Verfassungen der Nachkriegszeit stark mit Doktrinen von Wohlfahrtsstaatlichkeit verknüpft und nur zusammen mit parallelen Entwicklungen im Bereich der Bildungs-, Sozial-oder Gesundheitspolitiken verstehbar wären. Ihr Anspruch beziehe sich auf die Schaffung einer systematischen kulturellen Versorgung, zugleich auf eine, seitens des Staates vorgetragene begrenzte Definition von Kultur, die im Rahmen eines vertikalen Konzept der Demokratisierung für möglichst alle BürgerInnen bindende Wirkung haben sollte. Dieses Konzept kann bis heute nicht nur in Frankreich sondern auch in Österreich mit seiner weltweit bewunderten traditionellen (hoch-)kulturellen Infrastruktur beobachtet werden. Auch nach innen vermochte es lange Zeit einen wesentlichen Beitrag zur Schaffung einer gemeinsamen nationalen Identität zu leisten. Zu ihrer konzeptiven Grundvoraussetzung gehörte auch, sich weitgehend der Logik des Marktes zu verweigern; mehr, sich als Bollwerk gegen die Marktkräfte zu bewähren.
Menger nennt insgesamt drei Trends, die das ursprüngliche Konzept einer allgemein verbindlichen Kulturpolitik in Frage stellen würden. Da ist zum einen eine Tendenz der schrittweisen Dezentralisierung, die eine Neuverteilung der Aufgaben auf den verschiedenen politischen und administrativen Ebenen mit sich bringt. Sie schafft eine zunehmende Ungleichheit der Ziele und Funktionen und stellt derart eine besondere Herausforderung für das ursprüngliche egalitäre Modell einer staatlicherseits priorisierten Kultur dar: Konkret kulturpolitische Ziele auf nationalstaatlicher Ebene müssen sich nicht mit denen auf städtischer Ebene decken; eine Disparität, die durchaus auch am Fall Wiens zu beobachten ist
Dazu kommt, dass mittlerweile eine Vielzahl neuer, nicht staatlicher Akteure die Hegemonie der „Hochkultur“ und damit verbunden, die traditionelle Hierarchie der Inhalte staatlichen kulturpolitischen Handels, in Frage stellen. Viele von ihnen reiten auf der Welle der Marktkräfte und stellen damit die konzeptive Marktferne kulturpolitischen Handels in Frage. Stattdessen bieten sie Produkte und Dienstleistungen (insbesondere im Bereich der Unterhaltungskultur) an und erwarten vom Staat ein Regelwerk zu implementieren, das diese Aktivitäten begünstigt.
Kulturpolitisch gilt es auf immer neue Weise die Frage zu beantworten, um welche Art von Kultur sich der Staat sich künftig vorrangig kümmern soll und welche guten Gründe er dafür zu liefern vermag? Bislang – so scheint es – ist die Fähigkeit, die Frage politisch zu beantworten, im Abnehmen begriffen. Stattdessen dominiert eine neoliberale Marktgläubigkeit auch die politischen EntscheidungsträgerInnen, die den Markt bestimmen lassen, welche Prioritäten im Kulturbereich verhandelt werden. Entsprechend bemisst sich staatliche Kulturpolitik zunehmend an ihrer Fähigkeit, einen Beitrag zum Wirtschaftswachstum zu leisten, allenfalls noch zur Aufrechterhaltung nationaler Vielfalt. Was zählt, das sind die Wirkungen elaborierter Marketingstrategien, die ihre Begründung in konsumentenbezogenen Kategorien wie Zielgruppenspezifik, Erwartungshaltung und Bedürfnisbefriedigung samt ihrer Messbarkeit finden.
Diese drei Trends begleiten die gegenwärtige Schwächung des Wohlfahrtsstaates auf vormaliger Grundlage eines politischen Verständnisses von Kulturpolitik. Halten diese an, so lässt sich schon heute ein baldiges Ende nationalstaatlicher Kulturpolitik – die sich nach Menger mittlerweile weitgehend auf den Erhalt ausgewählter Teile des kulturellen Erbes bzw. auf die Förderung der Kreativwirtschaft beschränkt – erahnen. Umso wichtiger erscheinen neue Akteure wie die Städte, die bei aller Heterogenität ihrer kulturpolitischen Prioritäten darüber entscheiden werden, ob Kulturpolitik in absehbarer Zeit überhaupt noch als ein handlungsfähiges und eigenständiges Politikfeld gesehen werden kann.
Über den unaufhaltsamen Aufstieg von „Homemade Culture“
Die Struktur der Konferenz wollte den Blick aus drei Perspektiven auf Kulturpolitik ermöglichen: der Politik, der Zivilgesellschaft und der KünstlerInnen. Am Anfang stand der politische Blick. In dem Zusammenhang machte John Holden aus England einen Strukturvorschlag, in dem er zwischen staatlich geförderter Kultur, kommerzieller Kultur und „homemade culture“, damit einer „Kultur“, die von den BürgerInnen selbst gestaltet wird, zu unterscheiden versuchte. In dem Maße, in dem sich die Gewichtungen (etwa durch Digitalisierung) verschieben würden, könne erfolgreiche Kulturpolitik nicht mehr auf einseitige Priorisierung des ersteren Bereichs setzen; vielmehr käme ihr die Aufgabe zu, zwischen den Bereichen zu vermitteln und die Handlungsfähigkeit der BürgerInnen in allen drei Bereichen zu erhöhen. Umso interessanter erwiesen sich die Antworten der übrigen PanellistInnen, die unisono darauf verwiesen, wie ungebrochen groß die Neigung „ihrer“ KulturpolitikerInnen wäre, Kultur für die Restauration nationaler Größen zu instrumentalisieren und so für die eigene Profilierung zu nutzen. Vor allem die Gäste aus Budapest, Istanbul, Kairo aber auch Jerusalem konstatierten eine seltsame Verknüpfung restaurativer und neoliberaler Tendenzen, deren Ziele in jedem Fall die als notwendig erkannten Entwicklungen aus anglo-amerikanischer Sicht heftig konterkarierten.
Städte als Zentren gesellschaftlicher Konflikte, die (auch) mit kulturellen Mitteln ausgetragen werden
In eine ähnliche Richtung argumentierte auch der Urbanist Franco Biancchini aus Leeds, der in seinem Beitrag deutlich machte, dass Städte nicht nur Zentren (kultur-)wirtschaftlicher Entwicklung, sondern auch gesellschaftlicher Konflikte darstellen. Sein vorrangiges Interesse richtete sich auf die VerliererInnen der aktuellen Verungleichungstendenzen, die immer mehr Menschen einen Platz am Rande urbaner Entwicklung aufzwinge, ohne dass dies Kulturpolitik zu beeinflussen vermöchte. Aus der Perspektive von Teodor Celakoski, einem Aktivisten aus Zagreb, stehen nicht nur die BewohnerInnen, sondern auch die Städte selbst untereinander im Rahmen wachsender Verungleichung in Konkurrenz zueinander, wenn im globalen turbokapitalistischen Getriebe der Hauptstadt Kroatiens ein Platz am Rande Europas (mit allen damit verbundenen politischen, ökonomischen und sozialen Konsequenzen) zugewiesen würde. Dieser notgedrungenen Hierarchisierung von Stadtentwicklung sei mit neuen Formen transnationaler Solidarität bislang nur sehr unzureichend zu begegnen. Nahezu idyllisch im Vergleich dazu der Bericht von Gerda Forstner aus der Kulturabteilung der Stadt Linz, die über neue bürgerschaftliche Beteiligungsmodelle zur Formulierung eines Kulturentwicklungsplans berichten konnte.
Auch das Panel zur Beeinflussung von Kulturpolitik durch KünstlerInnen führte zu durchaus unterschiedlichen Einschätzungen. Während die Künstlerin Barbara Holub von ihrem partizipativen Projekt „transparadiso“ berichtete, versuchte der Kurator Martin Fritz einen Strukturierungsvorschlag, um die unterschiedlichen Aktionsfelder von KünstlerInnen zur Interessensvertretung, zur Institutionenkritik und zur Politikgestaltung besser auseinanderhalten zu können. Fast erwartbar stießen – wie schon im Gespräch mit der Intendantin des steirischen herbst Veronica Kaup-Hasler – die Versuche von KünstlerInnen, das aktuelle Politikgeschehen unmittelbar zu beeinflussen auf das größte Interesse, während sich die Mühen zur Veränderung der spezifisch kulturpolitischen Rahmenbedingungen als nur sehr schwer thematisierbar erwiesen. Wohl mehr als ein Indiz für das gegenwärtig nur sehr schwache Standing von Kulturpolitik am Handlungshorizont von KünstlerInnen.
Politiker und Beamte nehmen am kulturpolitischen Diskurs nicht (mehr) teil
Die abschließende Podiumsdiskussion unter Leitung des Chefredakteurs des Standards Gerfried Sperl versuchte, ein erstes Résumé zu ziehen. Rektor Gerald Bast machte dabei auf das Problem aufmerksam, dass sowohl PolitikerInnen als auch zuständige Beamte immer weniger bereit sind, an kulturpolitischen Diskussionen teilzunehmen und damit so etwas wie eine politische Öffentlichkeit herzustellen. So glänzten sie auch hier mit Abwesenheit. Einer der Gründe – so meine Vermutung – könnte daran liegen, dass staatliche Kulturpolitik zurzeit weitgehend auf eine defensive Haltung festgelegt ist, die sicherstellt, „dass nichts passiert“. Entsprechend gering ist die Neigung, Veränderungen des kulturpolitischen Feldes in der Öffentlichkeit zu diskutieren, noch geringer die Neigung, aus Berichten zu Entwicklungen in anderen Städten oder Regionen handlungsleitende Schlüsse zu ziehen.
Angesprochen ist damit ein strukturelles Problem jeglicher Kulturpolitik, deren Qualität sich – so oder so – an Art und Ausmaß eines darauf bezogenen öffentlichen Diskurses bemisst. Die Weiterung der öffentlichen RepräsentantInnen, an einem solchen teilzunehmen (was auch bedeutet, Konflikte überhaupt erst einmal zuzulassen), schwächt diesen, freilich mit der Konsequenz, auf Dauer ihre eigenen Arbeitsgrundlagen zu unterminieren.
In einer ersten Einschätzung zum Verlauf der Konferenz hat meine Kollegin Anke Schad, die selbst ein Panel moderiert hat, gemeint, sie habe jetzt den großen Wunsch, sich auf das eine oder andere Thema zu konzentrieren und dieses zu vertiefen. In der Tat wurde im Zuge eines ersten Aufrisses eine Reihe relevanter Themen angesprochen, ohne diese im Rahmen der Veranstaltung wirklich auf den Punkt bringen zu können. Dies wird hoffentlich anderen Settings vorbehalten bleiben.
Mir bleiben nachhaltige Eindrücke, die mich inmitten des irritierenden Ambientes des symbolischen Aufeinandertreffens ganz unterschiedlicher Welten neue Einschätzungen zu dem, was zurzeit in Städten kulturell der Fall ist, erfahren haben lassen. Ihre SprecherInnen haben hoffentlich hier und dort den Wunsch nach einer Fortsetzung und Intensivierung des Austauschs geweckt. Es wäre das der eigentliche Erfolg der Veranstaltung.
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