Salon der Kulturen – Access to Culture

Veranstaltungsrückblick

Der ungarische Theatermacher und Aktivist Árpád Schilling berichtete Eindrückliches aus der Erfahrung seiner Stiftung Krétakör vor dem Hintergrund der politischen und sozialen Krise in Ungarn. Deutlich wurden dabei die vielen Konfliktlinien, die sich durch die ungarische Gesellschaft ziehen. Die Regierung  (wohlgemerkt, Viktor Orbán erhielt seine Ausbildung in Oxford und wurde durch Stiftungen unterstützt, die sich die Förderung der Demokratie auf die Fahnen geschrieben haben) verhält sich frei nach dem Motto: seid ihr nicht für uns, seid ihr gegen uns. Unter diesem Patriotismusprogramm schwelen unzählige soziale Konflikte, die die Regierung vor allem mit Unterdrückung kritischer Stimmen Herr zu werden sucht. Wie es in einer solchen Gesellschaft denen geht, die politisch-kritische Kunst und Bildungsprogramme umsetzen möchten, wurde anhand Schillings Bericht deutlich. Schilling beendete seine Präsentation erfolgreicher Projektbeispiele – Debattentheater mit Roma und Nicht-Roma zur Bearbeitung von alltäglichen Konflikten in einem Dorf, Hamlet mit international renommierten Schauspielern in Schulturnhallen vor ungarischen Klassen, die Freie Schule zur Förderung von demokratischem Engagement von jungen Menschen – mit einem schwarzen Bild eines ins bodenlose fallenden Menschen. Titel 2014: The Black Year. Ohne öffentliche Förderung ist die Perspektive von Schilling`s Projekt derzeit unklar. Allerdings deuten jüngste Berichte darauf hin, dass auch die Regierung Orbán nicht länger auf der Erfolgswelle schwimmt. Vor allem mit dem Versuch der Einführung einer Internetsteuer, von obligatorischen Drogentests für Kinder ab 12 Jahren, Korruptionsvorwürfen und massiven Einsparungen im Bildungs- und Sozialbereich macht sich die Regierung zunehmend unbeliebt, regierungsfeindliche Proteste nehmen zu. Wie es im österreichischen Nachbarland weitergeht, ist offen. Allerdings würden wir den Entwicklungen angesichts der Brisanz mehr mediale Aufmerksamkeit wünschen.

 

Salon der Kulturen – Access to Culture

1995 begann Krétakör mit Inszenierungen von Tschechows Die Möwe oder Büchners Woyzeck. Immer darauf bedacht aktuelle gesellschaftspolitische Fragen zu thematisieren, hat Krétakör in den vergangenen Jahren die klassische Dramenliteratur hinter sich gelassen und neue Wege des Theatermachens gesucht.

Aktionistische Inszenierungen mit Titeln wie Korruption oder The Party is over – but we keep on going! charakterisieren heute die Arbeit des Theaterkollektivs. Gerade durch partizipative und künstlerische Prozesse wird versucht neue Formen der Theaterarbeit zu realisieren. Dazu gehört die Arbeit mit ungarischen und deutschen Jugendlichen zu Fragen der Demokratie und Teilhabe oder Dialogforen zwischen Roma und nicht-Roma EinwohnerInnen in zwei ungarischen Dörfern. Im Orban-Ungarn sind Krétakör zur wichtigsten kritischen Kunstgröße avanciert, erfahren jedoch auch international höchste Aufmerksamkeit als Protagonisten zeitgenössischer und interdisziplinärer Theaterarbeit.

Die Erfahrungen von Krétakör sind für EDUCULT vor allem aus der Perspektive des Zugangs zu Kultur (Access to Culture) und kultureller Teilhabe von großem Interesse. Denn der Zugang von Kunst und Kultur wurde in den vergangenen Jahren zu einem der Leitthemen im kulturpolitischen Diskurs auf europäischer und nationaler Ebene. Neue Formen der Kulturarbeit und kultureller Teilhabe sollen demokratische Bildung fördern und die Entfremdung von BürgerInnen gegenüber politischen Prozessen verringern.

Trotzdem gibt ist eine Diskrepanz zwischen der rhetorischen Bekenntnis zu Access to Culture als Form der demokratischen Bildung einerseits und der Umsetzung neuer Zugangs- und Partizipationsformen zu Kultur andererseits. Krétakör ist eines der wenigen mitteleuropäischen Beispiele für die konsequente Grenzüberschreitung klassischer Theaterarbeit. Mit dem Ziel unterschiedliche Publikumsgruppen vor einem interkulturellen Hintergrund in den kreativen Prozess einzubeziehen, sucht Kretakör immerfort neue Umsetzungsformen.

Wir laden Sie herzlich ein, mit Árpád Schilling und Michael Wimmer am Beispiel von Krétakör, neue Wege und Formen der kulturellen Teilhabe im Theater mit uns zu diskutieren.

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Termin: Donnerstag, 11. Dezember 2014, 19:00 Uhr

Ort: Universität für angewandte Kunst Wien, Lichthof

Moderation: Michael Wimmer, EDUCULT

Gast: Árpád Schilling

 

Wir danken der Kulturabteilung der Stadt Wien (MA7), Abteilung Stadtteilkultur und Interkulturalität für die finanzielle Förderung und der Universität für angewandte Kunst für die Unterstützung der Veranstaltung!

Leidenschaften, Floskeln und Mitwirkung – Mehr „mit“, weniger „für“

Manchmal denke ich mir, wir sind verrückt geworden. Dieser Eindruck überkam mich jedenfalls im Film „Die geliebten Schwestern“ von Dominik Graf, als in der Szene der Antrittsvorlesung an der Universität Jena der Darsteller Friedrich Schillers mit wenigen Sätzen deutlich machte, um wie viel weiter (oder näher dran) Menschen in ihrer Ausdrucksfähigkeit ihrer leidenschaftlichen Suche nach Wahrheit und Schönheit schon einmal waren. Es ist offenbar ein unstillbarer Erfahrungshunger, der den Schwestern Charlotte und Caroline von Lengefeld zu Beginn des 19. Jahrhunderts bislang unerhörte Worte in den Mund legte und sie unüberwindlich geglaubte Schranken überwinden ließ. Da mochte Schiller nicht nachstehen, wenn er um die beiden mit den Worten warb: „Ich glaube, dass wir noch bei Lebzeiten eine andere Welt erleben werden“.

Auch wenn wir im weiteren Verlauf des Films zusehen können, wie die verengenden Verhältnisse bürgerlichen Besitzstandsdenkens sukzessive die Köpfe und Herzen ergreifen und das soziale Experiment an den Realitäten scheitert, so bleiben – zumindest in Grafs Interpretation des historischen Geschehens – die unauslöschlichen Erfahrungen, es probiert zu haben (und dem/der ZuseherIn zumindest  eine Anmutung von dem, wie es – auf der Grundlage der Erfahrungen von Menschen, die sich schon so weit vorgewagt haben – sein könnte).

Die Angst vor dem Scheitern geht um

Von dieser Haltung, scheint heute nur mehr wenig übrig geblieben. Geht es jedenfalls nach dem deutschen Soziologen Heinz Bude, dann ist die gegenwärtige gesellschaftliche Verfasstheit von allem anderen als dem Mut, sich zu exponieren und sich Experimente zuzumuten geprägt. In seinem jüngsten Buch „Gesellschaft der Angst“ beschreibt er einen verunsicherten Mittelstand, der aus Angst vor dem Abstieg jegliches Risiko scheut, zumal jeder Fehltritt den gesellschaftlichen Absturz bedeuten könnte. Das Ergebnis sei die weitgehende politische Handlungsunfähigkeit bis weit in die Mittelschichten hinein, die sich an die Hoffnung klammern, es solle nicht (noch) schlechter werden. Diese Haltung führe zu einer Angststarre, zu einer Lähmung, die den Fortbestand der gegebenen Verhältnisse als weitgehend unbeeinflussbar in Kauf nimmt und doch immer mehr an Boden verliert. Budes Gegenrezept: „Weiter kommt nur, wer Scheitern in Kauf nimmt: Wir müssen wieder lernen, mit dem Scheitern umzugehen und Fehler als eine Realität des Lebens anzuerkennen“.

Das Panorama, das Graf mit seinem Film vor uns ausbreitet, beschreibt die Umwälzungen einer traditionellen Gesellschaft, deren Selbstverständnisse an der revolutionären Zeitenwende zu Beginn des 19. Jahrhundert allesamt über den Haufen geworfen wurden. Einer restaurativen Politik gelang es nur zu schnell, den kurzen Sommer des Aufbegehrens wieder in konventionelle Bahnen zu lenken und damit alternative Lebensentwürfe als wahlweise utopisch oder verwerflich abzuwerten.

Zunehmend verdichtet sich in mir der Eindruck, als stünden wir heute an der Schwelle einer ähnlich umfassenden Zeitenwende, die wir als unfreiwillige Mitwirkende an der Aufrechterhaltung eines neuen „Ancien Regimes“ einer Klasse von Reichen als solche noch nicht fassen können. Da ist weithin keiner, der gegenwärtig in der Lage wäre, auch nur halbwegs glaubwürdig von einer „anderen Welt“ zu sprechen, die wir noch erleben würden. Statt dessen Zukunftslosigkeit, soweit das Auge reicht.

Weil wir nicht wissen, was und wie es wird, schlägt Bude ein neues Kapitel des politischen Experimentierens auf. Er empfiehlt die Öffnung von Experimentierfeldern, in denen der Umgang mit einem Scheitern geübt werden kann, das nicht den endgültigen Absturz besiegelt sondern die notwendige Voraussetzung für einen suchenden Neubeginn darstellt.

Kunst vermittelt Kompetenzen aller Art und wir brauchen mehr Kreativität und bla, bla…..

Die unmittelbar anrührende Rede Schillers über das, was das Leben lebenswert macht, hat mich erschrecken lassen über die Floskeln, mit denen wir uns heute über kulturelle Bildung verständigen. Es ist, als ob einige Marketing-Fachleute der Szene ein rigides Sprachregime auferlegt hätten, um mit immer gleichen Floskeln, in denen möglichst oft die Begriffe „Kreativität“, „Innovation“ „Nutzen“, darüber hinaus „benachteiligte Zielgruppen“ und „Kompetenzerwerb“ verwendet werden müssen, die Notwendigkeit kultureller Bildung anzupreisen. Diese Art der Sprachregelung ist verständlich vor dem Hintergrund eines verschärften Legitimierungsdrucks des Sektors, der davon ausgeht, potentielle Förderer und Unterstützer verstünden nur diese Sprache (was definitiv nicht stimmt). Gefährlich aber wird es, wenn kulturelle BildnerInnen beginnen, selbst an diese Phrasen zu glauben und sich danach zu verhalten. Sie bedienen sich eines Jargons, dessen Hauptzweck dahingehend verkommt, die mangelnde Substanz des eigenen Anliegens durch eine möglichst klangvolle Sprachhülle zu verdecken. Und doch können wir schon nicht mehr hören. Dass sie sich dabei der Sprache derer bedienen, die sie vorgeben, mit ihren Bemühungen überwinden zu wollen, sie also in eine durchaus selbstgestellte Falle tappen, bleibt dabei weitgehend unbemerkt.

Die österreichische Literaturkritikerin Daniela Strigl hat sich zuletzt im Presse Spektrum vom 15. November 2014 in ihrem Beitrag „Der letzte Schrei“ mit Fragen der Sprachkritik beschäftigt, die sich auch auf den Bereich der kulturellen Bildung anwenden lassen. Sie beklagt darin “eine kollektive Kapitulation vor der Phrase, dem Modewort, dem Jargon“. Für sie stellt diese Form der sprachlichen Uniformierung ein Symptom für eine geistige Stromlinienförmigkeit dar, das den Verzicht auf die eigene Denkarbeit impliziert. Durchaus in Anlehnung an Budes Befund einer Angst, möglichst nicht aus dem Mainstream auszubrechen, ortet sie einen Niedergang von Polemik und Pamphlet, die sich an den gegebenen Sprachregelungen zu reiben wagen: „Ja, Widerspruch ist anstrengend“. Aber die Gefahr, in die sich auch und gerade die beredsten AdvokatInnen kultureller Bildung begeben, wenn sie vermeinen, sich einem sprachlichen Mainstream andienen zu  müssen, ist nicht zu unterschätzen: „Dort, wo man sich selber nichts denkt, übernimmt man das Vorgedachte, das heißt: das von der Macht einem Zugedachte“.

Intendiert die Orientierung auf Kompetenzerwerb die Außerkraftsetzung der Kunst als Form des Widerstands (z.B. auf Kompetenzerwerb zu pfeifen)?

Es ist nicht verwunderlich, dass diese Form der Sprachkritik mit den aktuellen Versuchen einer weiteren Zurückdrängung von „Literatur“ im Rahmen der Einführung der Zentralmatura zusammenfällt. Anstatt noch einmal auf das spezifische Widerstandspotential, das in der Auseinandersetzung mit Literatur als einer Kunstform liegt, zu rekurrieren, haben die VertreterInnen der germanistischen Zunft gemeint, die Rhetorik der Verursacher bedienen zu müssen: „In der Auseinandersetzung mit literarischen Texten werden vielfältige Kompetenzen vermittelt, die in einer kulturell dynamischen und globalisierten Welt von hoher Bedeutung sind“. Ein besseres Beispiel für die Pervertierung ursprünglicher literarischen Absichten kann es nicht geben; nicht nur Schiller (ein Blick in seine „ästhetischen Briefe“ macht Sie sicher!) ist es wohl um etwas anderes gegangen.

Mitwirken statt behandelt werden

Auf der Suche nach Experimentierräumen, in denen Scheitern erlaubt ist, kommen wir um Orte neuer Mitwirkung nicht herum. „Kunden schätzen Produkte eher mehr, die ihnen das Gefühl geben, an der Entstehung beteiligt gewesen zu sein, egal, ob sie dafür einen Bausatz zusammen gebaut oder die Entwickler online ermutigt haben“. Das ist der zentrale Satz in Chris Andersons Buch „Makers – das Internet der Dinge: die nächste industrielle Revolution“. Jetzt schrauben ja schon seit geraumer Zeit Kunden von Ikea an ihren Möbeln herum. Die Hoffnungen, die sich mit den aktuellen Entwicklungen des „Internet der Dinge“ ergeben, gehen jedoch einen Schritt weiter. Sie schaffen die Voraussetzung dafür, Menschen aus ihrer passiven KonsumentInnen-Rolle zu befreien und sie zu aktiven KoproduzentInnen ihrer Lebensverhältnisse zu machen.

Die Süddeutsche Zeitung hat in diesem Zusammenhang ein Experiment gestartet, in dem es hundert LeserInnen eingeladen hat, gemeinsam eine Kritik dieses Buches zu verfassen. Die Zeitung wollte sich diesmal nicht darauf beschränken, aus dem berufenen Mund eines Fachmanns/ einer Fachfrau eine Kritik für ihre LeserInnen zu veröffentlichen, sondern eine solche gemeinsam mit ihnen zu erstellen: „Menschen sollen sich nicht nur dafür interessieren, sondern sich auch sehr inspirierend daran beteiligen, wie eine Buchkritik entsteht“. Ein ähnliches Anliegen fällt mir im Zusammenhang mit dem Projekt „no education“ der Ruhrtriennale ein, bei dem junge Leute eingeladen werden, nach den Vorstellungsbesuchen Kritiken zu verfassen.

Apropos junge Menschen: Die Frage ihrer aktiven Mitwirkung stand auch im Zentrum eines europäischen Treffens, das von der belgischen Initiative „Vitamine C“ ausgerichtet wurde. Ausgangspunkt war einmal mehr, der von Heinz Bude diagnostizierte Stillstand eines ebenso verunsicherten wie (noch) privilegierten Mittelstandes. Es liegt in seiner Natur, dass ihre Mitglieder immer älter werden; umso rabiater versuchen sie, ihre wohlerworbenen Rechte, die sie im historischen Fenster der Nachkriegszeit erworben haben, auch und gerade gegen die nachfolgenden Generationen zu verteidigen. Die an dieser Stelle schon mehrfach angesprochenen skandalösen Arbeitslosenraten bei jungen Menschen in Europa (in der Regel weit höher als bei älteren Jahrgängen), denen als Wartende auf bessere Zeiten jede Perspektive genommen wird, sind dafür nur ein schlagender Beleg. Als solche zahlen sie unverschuldet die Rechnung für ein Versagen einer Entscheidergeneration, die vermeint, mit der Strategie des more of he same wenn schon nicht die Welt, so doch sich selbst in die Pension retten zu können.

Diese besondere historische Konstellation (samt den daraus zu erwartenden gefährlichen Auswirkungen) reflektierend, entstand bei den TeilnehmerInnen des Treffens ein jugendpolitisches Konzept, das daraus hinausläuft, Programme kultureller Bildung für junge Menschen durch solche mit jungen Menschen zu ersetzen. Dass das funktionieren kann, hat etwa das Roundhouse in London bewiesen, wenn an diesem Veranstaltungsort junge Menschen nicht nur bei einzelnen Projekten mitmachen dürfen, sondern diese auf allen Ebenen in die Entscheidungsfindung und Umsetzung eingebunden sind und somit die Gesamtstrategie entscheidend mitbestimmen.  In Rotterdam gibt es mittlerweile ein „Schattenkabinett“ aus JugendvertreterInnen, die die Entscheidung der Stadtpolitik kritisch hinterfragen und Einfluss nehmen. Und auch das „Freiwillige soziale Jahr in der Kultur“ in Deutschland bietet dafür Anstöße.

Was spricht denn dagegen, junge Menschen aktiv in kulturpolitische Entscheidungen einzubeziehen und davon zu profitieren (zumal sich Kinder sich im familiären Kontext längst als vollwertige Partner bei Konsum- und Freizeitentscheidungen etabliert haben)? Für viele in die Jahre gekommene KulturverwalterInnen mag es noch als ein Affront wirken, nicht mehr alleine an den Schalthebeln der Entscheidung hantieren zu können; stattdessen schreiben sie es sich als ein besonderes Verdienst zu, in paternalistischer Manier Projekte für junge Menschen bereit zu stellen. Aber diese Form des „Gewährens“ schafft keine Zukunft mehr.

Statt dessen schlagen wir ein neues Miteinander vor. Dabei ist uns bewusst, dass es zuerst um eine Haltungsänderung geht und dieses damit von symbolischem Wert ist; den wachsenden Generationenkonflikt wird der Kulturbetrieb so oder so nicht lösen. Immerhin ist zu erwarten, dass sich so manche Sprachregelungen als das erweisen werden, was sie sind: sinnentleerter Sprachschrott zur Aufrechterhaltung eines falschen Status quo. Zudem könnte bei einigen VertreterInnen der bisherigen Alleinentscheider die Lust steigen, sich auf das eine oder andere Experiment einzulassen, vor dem sie bisher aus Angst vor dem Scheitern zurückgeschreckt sind. Die Neugierde und der Entdeckerdrang junger Menschen könnte sie womöglich mitreißen. Und es könnte sich als eine lustvolle Therapie gegen die grassierende Handlungsunfähigkeit erweisen.

Kunst- und Kultureinrichtungen, die bereit sind, sich auf das Experiment „junge Menschen nicht nur als Zielgruppe ihrer Angebote sondern als Mitentscheider“ einzulassen, bitte melden!

Bildnachweis: © Gioconda Beekman

Entwicklung eines wirkungsorientierten Evaluationskonzepts

Auf Basis eines ersten Konzeptentwurfs  fanden zwischen Herbst 2013 und Frühjahr 2014 vier Pilotevaluationen statt. Diese Erfahrungen wurden im Mai 2014 auf einer Fachtagung zusammen mit dem weiter gereiften Konzeptentwurf präsentiert und diskutiert.

EDUCULT war mit zwei der vier Pilotevaluationen beauftragt: der Evaluation der Kulturmanagement-Fortbildung in Nordafrika und Nahost und der Evaluation der deutsch-brasilianischen Theaterkoproduktion 13 Kisten.

Ziel des Evaluationskonzepts ist es, ein grundlegendes Verständnis darüber zu entwickeln, wie die Kulturarbeit des Goethe-Instituts wirkt, auf welchen Referenzgrößen sie basiert und wie sie sich anhand plausibler bzw. wissenschaftlich nachvollziehbarer Argumentationsketten auf gesellschaftlicher Ebene begründen lässt.

EDUCULT wurde im Anschluss an die Fachtagung damit beauftragt, den Konzeptentwurf in enger Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber auszuformulieren. Dazu wurden Grundlagen für die methodische, theoretische und analytische Vorgehensweise erarbeitet und ein grafisches Wirkungsmodell erstellt.

Brokering Migrants´ Cultural Participation

Kurzbeschreibung

Traditionell spielen öffentliche Kultureinrichtungen eine große Rolle bei der Bildung und Pflege eines gemeinsamen Kulturverständnisses in der lokalen Bevölkerung. Kultureinrichtungen sind immer wieder aufs Neue gefordert, ihre traditionelle, identitätsstiftende Rolle aktuellen Gegebenheiten anzupassen und als Vermittler in einer vielfältigen Gesellschaft zu agieren.

Das europäische, von Interarts koordinierte, Kooperationsprojekt „Brokering Migrants‘ Cultural Participation“ möchte einen Beitrag zur Sensibilisierung von Kunst- und Kultureinrichtungen in dieser Aufgabe und in ihrer Bedeutung für die kulturelle Teilhabe von Menschen mit Migrationsgeschichte leisten.

Teilhabe umfasst nicht nur den kulturellen Konsum, sondern auch und gerade die gleichwertige Teilnahme von Mitgliedern dieser Bevölkerungsgruppe an der künstlerischen Produktion sowie in allen anderen Aufgabenfeldern von Kulturbetrieben. In diesem Sinn möchte das Projekt Kultureinrichtungen bei ihrer künftigen strategischen Ausrichtung unterstützen und dabei allen Beteiligten (VertreterInnen der Kultureinrichtungen ebenso wie der Vielzahl von migranten Initiativen als Repräsentationen dieser Bevölkerungsgruppe) die Möglichkeit verschaffen, ihre gesellschaftlichen Stellung zu reflektieren und weiter zu entwickeln.

Methode 

Brokering Migrants´ Cultural Participation gliedert sich in vier Phasen:

  • Entwicklung eines Benchmarking Systems für Diversitätsmanagement in Kultureinrichtungen.

  • Pilotstudie der nationalen Kultursektoren hinsichtlich dessen Anforderungen zur Umsetzung eines darauf beruhenenden Diversitätsmanagements.

  • Organisation und Durchführung von Lernpartnerschaften zwischen Kultureinrichtungen, migrantischen Vereinen, NGOs und Bildungseinrichtungen.

  • Veröffentlichung und Verbreitung der Ergebnisse des Projektes und der Lernpartnerschaften, um die Ergebnisse für alle Kulturinstitutionen und darüber hinaus für den kultur- und integrationspolitischen Diskurs nutzbar zu machen.

MCP Broker Webseite

 

Video

 

Fotos Abschlusskonferenz

Brokering Migrants' Cultural Participation

Salon der Kulturen – BRANDGEFÄHRLICH_TRAUMHAFT

Assunta Abdel Azim Mohamed, Alina Özyurt und Julia Geißler, Studierende der Universität für angewandte Kunst Wien, präsentieren in dieser Vernissage ihre aktuellen Werke unter der künstlerischen Leitung von Zekerya Saribatur.

Datum: 11. November 2014, 18:00

Ort: EDUCULT, quartier21/MQ, Museumsplatz 1/e-1.6, 1070 Wien (Stiegenaufgang 1.6 im Innenhof des MQ-Haupteingangs, rechts von Café Daily – 3. Stock)

Künstler: Assunta Abdel Azim Mohamed, Alina Özyurt und Julia Geißler

Künstl. Leitung: Mag.art. Zekerya Saribatur / Univ. f. angew. Kunst Wien,

Begrüßung: Dr. Michael Wimmer / EDUCULT

Eintritt frei!

Wir danken der Kulturabteilung der Stadt Wien (MA7), Abteilung Stadtteilkultur und Interkulturalität für die finanzielle Unterstützung dieser Veranstaltung!

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Alina Özyurt

Alina Özyurt ist 1990 in Innsbruck geboren und studiert seit Oktober 2010 bildende Kunst und Grafik an der Universität für angewandte Kunst. 2012 illustrierte sie für „Der Machatschek-Gott und die Welt“, 2013 und 2014 stellte Sie bei den Ausstellungen „Alte Meister neue Meister“ und „The Essence 2014“ ihre Werke aus. Sie arbeitet hauptsächlich mit Zeichnung, Collage, Skulptur und Künstlerbüchern.

„In meinen Zeichnungen/Collagen beschäftige ich mich hauptsächlich mit der Vermischung von figurativen Elementen und Abstraktion. Da es für mich immer schon sehr schwierig war eine künstlerische Arbeit komplett abzuschließen, habe ich beschlossen, mich auf einzelne Elemente in meinen Bildern zu konzentrieren, welche mir besonders gut gefallen,  um diese dann wiederum mit Hilfe der Schere und des Klebers, in Form von Collagen, in andere bisher noch nicht fertige Bilder einzubauen. Meine Themen sind persönliche Erlebnisse und Ereignisse, sowohl als auch Selbstportraits und winzige Portraits von Menschen aus meiner Umgebung.“

 

Assunta Abdel Azim Mohamed

Assunta Abdel Azim Mohamed ist 1993 in Klagenfurt geboren und studiert seit 2012 Grafik und Druckgrafik an der Universität für angewandte Kunst. Sie wirkte an mehreren Gruppenausstellungen (u.a. im MAK, MQ Hofstallungen, MuMoK, Museumsquartier, WUK, Ankerbrotfabrik und Künstlerhaus Wien) mit. 2013 wurde sie für den Kunstpreis Parz und den Walter Koschatzky Kunstpreis nominiert.

„Meine favorisierte Technik ist die Zeichentechnik mit dem Kugelschreiber. Obwohl es ein sehr gebräuchlicher Gegenstand ist, kann man mit einer einzigen Mine viele Farbschattierungen erstellen und das typische Kugelschreiberblau gewinnt dadurch einen vielschichtigen Charakter.Ich befasse mich in meinen Werken meistens mit Menschen. Ich denke, dass viele unserer Emotionen und Verhaltensmustern von Medien wie dem Fernsehen und dem Internet geprägt und beeinflusst werden und versuche auf meinen Bildern dies auf eine  überspitzte, manchmal hysterische Art widerzugeben.“

 

Julia Geißler

Julia Geißler wurde 1991 in Zell am See geboren und studiert seit Herbst 2011 Bildende Kunst-Grafik an der Universität für angewandte Kunst. Seit 2008 war sie an zahlreichen Gruppenausstellungen in ganz Österreich beteiligt (u.a. Alte Meister neue Meister“ 2013 in der Galerie Hochdruck, 8 hours work 8 hours linger 8 hours rest Exhibition, Kunstfabrik Groß Siegharts, Niederösterreich, 2014). In ihren Arbeiten bleiben figurative Inhalte im druckgrafischen Bereich im Wechselspiel mit abstrakter Malerei.

„Ich bin auf der Suche nach Entfremdung, egal, mit welchem Medium ich arbeite. Gewohnheiten sollen sich spielerisch anschleichen, sich aber nicht fest ketten.“ 

30 Cent für kulturelle Bildung sind nicht genug!

Die Wut über den Zustand kultureller Bildung geht um. So meinte Nikolaus Harnoncourt in einem jüngst veröffentlichen Pamphlet: „Heutige Bildungspolitiker kennen nur ein Ziel: den funktionierenden Menschen. Es geht darum, Kinder zu besseren Ameisen heranzuziehen…Das halte ich für verbrecherisch“.

Aber von Anfang an: Noch vor ein paar Jahren herrschte in Sachen kulturelle Bildung Aufbruchstimmung. 2007 entschloss die Regierung anlässlich der Neuauflage der Großen Koalition, sich von der Idee der „Chefsache Kunst“ im Bundeskanzleramt zu verabschieden und eine gemeinsame Zuständigkeit für Unterricht, Kunst und Kultur zu installieren. In einem gemeinsamen Ministerium sollte es gelingen, bildungs- und kulturpolitische Ziele miteinander zu verknüpfen. Sowohl der Bildungs- als auch der Kulturbereich sollte dadurch einen Nutzen bei der Entwicklung eines zeitgemäßen kulturellen Bildungsangebotes ziehen und so wurde die amtierende Bundesministerin Claudia Schmied Chefpropagandistin von Kunst- und Kulturvermittlung. Spätestens bis 2013 sollte jede österreichische Schule eine Kooperation mit einer Kultureinrichtung eingegangen sein (hat eigentlich je jemand nachgeprüft, ob bzw. inwieweit dieses Ziel erreicht wurde und was diesbezügliche Versuche allenfalls bewirkt haben? Und wenn nein, warum wurde nicht nachgeprüft?).

Schwerpunkt kulturelle Bildung – Abstimmung, Steuerung und Evidence Based Policy

Auch EDUCULT wurde eingeladen, sich an der konzeptionellen Ausgestaltung eines solchen Schwerpunktes zu beteiligen. Mit „Vielfalt und Kooperationen“ versuchten wir erstmals, eine Bestandsaufnahme kultureller Bildung in Österreich vorzunehmen und entlang der Rückmeldungen aus dem Feld, Empfehlungen zur Implementierung dieses Schwerpunktes zu formulieren. Eine bezog sich auf den Umstand, dass selbst innerhalb der Zentralverwaltung traditionell gewachsene Maßnahmen ganz unterschiedlicher Zielsetzung, Umfang und Reichweite weitgehend unvermittelt nebeneinander administriert werden, ohne auf diese Weise eine systemische Wirkung zu erzielen. Und eine andere befragte die sehr österreichische Form, der vor allem im Bereich der Kulturpolitik grassierenden Entscheidungsfindung, die vermeint, ohne Daten auskommen zu können und stattdessen auf die Befindlichkeit informeller Netzwerke setzen zu sollen.

Zu einer künftigen strategischen Ausrichtung sollte nach dem Wunsch der amtierenden Ministerin eine Stabsstelle samt regelmäßiger Arbeitsgruppe aus VertreterInnen verschiedener Stakeholder-Gruppen eingerichtet werden; dazu kam der  Ruf nach „Evidence Based Policy“, in der Hoffnung, damit transparente und objektivierbare Entscheidungsgrundlagen zu schaffen. Spätestens mit der Erarbeitung von Forschungsergebnissen, die dazu angetan waren, einen nicht nur advokativen sondern auch kritischen öffentlichen Diskurs über die bestehenden Strukturen kultureller Bildung zu eröffnen, war der „kurze Sommer der kulturellen Bildungsforschung“ rasch wieder vorbei. Stattdessen hatten die zuständigen Beamten im Unterrichtsressort zu vermelden, die Frau Bundesministerin wünsche keine Forschung. Stabsstelle und Arbeitsgruppe hingegen tagten weiter, freilich ohne dass noch einmal signifikante Ergebnisse ihrer Beratungen in breitere Öffentlichkeiten gedrungen wären.

Woher also die öffentlich geäußerten Wutanfälle?

Mit der Neuaufteilung der Ressortzuständigkeiten (offiziell seit März 2014) gingen Unterricht, Kunst und Kultur wieder getrennte Wege; Unterricht wurde diesmal der Frauenministerin umgehängt, Kunst und Kultur (fast) wieder Chefsache im Bundeskanzleramt. Und siehe da: Niemand scheint den Zeiten der gemeinsamen Kultur- und Bildungskompetenz eine Träne nachzuweinen; mehr noch, weder die neue Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek, noch der für Kunst und Kultur zuständige Kanzleramtsminister Josef Ostermayer haben sich bislang zum Thema Kunst- und Kulturvermittlung öffentlich geäußert. Es ist, als wäre kulturelle Bildung als eine Querschnittsmaterie einfach von der Tagesordnung verschwunden. Bleiben die Neos als junge Oppositionspartei, die als bisher einzige versucht haben, das Thema zumindest auf parlamentarischer Ebene am Leben zu halten und konkret nachzufragen, welche Programme kultureller Bildung bislang dem aktuellen Sparkurs zum Opfer gefallen sind.

Über das Zermahlen von Widersprüchen als erste Kompetenz der Verwaltung

Aus dem Bildungsministerium wird berichtet, man sei gegenwärtig vor allem mit „Sparen“ bzw. mit der Suche nach Kürzungen und der Beendigung von Maßnahmen im Ermessensbereich beschäftigt. In dem Zusammenhang mutiert die Aufgabe der Beamtinnen immer mehr dahin, Kommunikation nach außen erst gar nicht aufkommen zu lassen und wenn das nicht möglich ist, Nachfragern wortreich zu erklären, was alles nicht (mehr) geht, wie sie sich ja ohnehin für dieses oder jenes einzusetzen versuchten, sie der aktuelle Sparkurs weitgehend aber zur Untätigkeit verurteilen würde. Der Gipfel: Nicht einmal mehr kurze Dienstreisen zu einzelnen Schauplätzen kultureller Bildung würden mehr genehmigt (in diesem Zusammenhang bedaure ich, nie die Stunden, die ich im Rahmen meiner einschlägigen Tätigkeit im Gespräch mit MinisterialbeamtInnen verbringen durfte, zusammengezählt zu haben, in denen man mich zu überzeugen versucht hat, dass etwas nicht geht. Allein die daraus entstandenen Personalkosten würden für die Durchführung mehrerer kultureller Bildungsprojekte reichen).

Es zeigt sich, dass die besondere Qualität der Ministerialbürokratie in Zeiten staatlichen Rückzugs darin besteht, sicher zu stellen, dass nichts passiert bzw. Widersprüche zwischen Anforderung und Ermöglichung so lange zu  zerreiben, bis sich deren Behandlung mittels Vergessen, Ermüdung oder Resignation als obsolet erwiesen hat. Just diese Strategie scheint nunmehr an eine Grenze gestoßen zu sein. Ganz offensichtlich meinte die politische Führung des Unterrichtsressorts, mit dem  Ende des Schwerpunktes Kunst- und Kulturvermittlung auch die Kommunikation mit den Szene-VertreterInnen beenden zu sollen. Die Koinzidenz von  Konzeptlosigkeit und oktroyierter Sparwut liefert keinen ausreichenden Gesprächsstoff mehr.

Das Musikestablishment ist sich einig: Skandal in der Kulturnation

Zumindest ein Teil der bisherigen Kommunikationspartner fühlt sich zurückgesetzt und schlägt zurück. Allen voran die von allen am besten organisierte klassische Musikszene, die sich in Form eines bösen Artikels mit dem Titel „Bildungspleite – Das Ende des Musikunterrichts“ ausgerechnet in der Zeitschrift NEWS zu Wort meldet. Dort wird – wie es für den Boulevard gehört – ganz dick aufgetragen: Die Rede ist von Schande, Verwüstung und Skandal; die Republik würde ihr kulturelles Erbe mit Füßen treten, Einsparungen bedrohten die Kulturnation Österreich und spätestens in dreißig Jahren hätten sich die letzten Reste eines musikkundigen Publikums verlaufen.

Mit starken Sprüchen vor allem zur LehrerInnenausbildung gelingt es dem Blatt, eine Reihe namhafter VertreterInnen des musikalischen, selbst höchst privilegierten Establishments wie Rudolf Buchbinder, Franz Welser-Möst, Nikolaus Harnoncourt, Daniela Fally, Dominique Mayer oder Markus Hinterhäuser dafür zu gewinnen, als Lobbyisten musikalischer Bildung aufzutreten und dabei der Politik eins auszuwischen. Deren Sprache erinnert freilich mehr an Losungen der rechtskonservativen AfD (Alternative für Deutschland) (deren Führungspersonal  u.a. behauptet, mit etwas mehr Singen und Geigenspiel ließe sich eine neue Geborgenheit von Kultur, Familie, Heimat und Geschichte in einer ansonsten  sinnentleerten Welt schaffen), als an ein fortschrittliches Projekt, das der Ausdifferenzierung der zunehmend multimedial vermittelten kulturellen Lebenswelten junger Menschen auch nur halbwegs gerecht zu werden möchte.

„Kulturnation“ als Beleg für ein ungeklärtes Verhältnis zur Politik

Aber angesichts der bestehenden Konzeptlosigkeit staatlicher Politik ist es nur zu verständlich, wenn sich die traditionellen Verbändevertretungen in Gestalt des Musikrates auf einen brachialen „Alarmismus“ beschränken und dafür alle verfügbaren Klischees aus dem Fundus einer überkommenen Rhetorik benutzen (besonders fragwürdig scheint mir in diesem Zusammenhang der penetrante Rekurs auf den vermeintlichen Status Österreichs als einer „Kulturnation“, der historisch nur verstanden werden kann als ein Kompensat für ein politisch weitgehend einflussloses und entmündigtes  Bürgertum, das sich in Ermangelung politischer Rechte eine symbolische Repräsentation in Form eines prestigeträchtigen Kulturbetriebs geschaffen hat. Entsprechend verweisen alle Bezugnahmen auf eine derart zustande gekommene „Kulturnation“ notwendig auf ein prekäres Verhältnis zu Politik, auch und gerade wenn sich diesbezügliche Forderungen an diese richten;  damit verweist schon die Verwendung des Begriffs auf den Status der politischen Entmündigung der SprecherInnen, ohne dass dieser Umstand ihnen noch einmal bewusst würde).

Was wollt ihr, wir verteilen ja ohnehin noch ein paar Almosen!

Dem Artikel auf NEWS.at folgend, ließ das Bildungsministerium ausrichten, dass man ja ohnehin 370.000 Euro in diverse Schulprojekte investieren würde (das macht bei rund 1,2 Mio. SchülerInnen rund 30 Cent! pro SchülerIn). Darüber hinaus bin ich mir nicht sicher, ob es innerhalb der Regierungsparteien überhaupt noch eine Bereitschaft gibt, sich mit kulturpolitischen Forderungen substantiell auseinander zu setzen oder sich am diesbezüglichen Diskurs auch nur zu beteiligen. Den Grund orte ich vor allem im Nachlassen des Glaubens seitens von PolitikerInnen, zwischen dem Kulturbereich und (ihrer) Politik ließen sich noch einmal gemeinsame Schnittmengen ausmachen, bzw. dieser wäre zumindest partiell in der Lage, die Erreichung der je eigenen politischen Ziele zu fördern. Diese Skepsis wird verstärkt durch den Umstand, dass PolitikerInnen zunehmend ausschließlich mit dem eigenen Überleben bzw. Fortkommen beschäftigt sind und daher die Vermittlung politischer Inhalte weitgehend irrelevant geworden ist. Die zu erwartende politische Reaktion wird sich also darauf reduzieren, das Skandalgeschrei „nicht einmal zu ignorieren“, den Grad der Selbstrefentialität der Bürokratie weiter zu erhöhen und sich ansonsten auf die Suche nach weiteren Einsparungsmöglichkeiten zu machen. Die Gelegenheit, sich am Prestige prominenter KünstlerInnen aufzurichten, wird sich an anderer Stelle schon wieder einmal finden.

„Staatliches Handeln als Arbeit an der „Ermüdungsgesellschaft“ (Byung-Chul Han)

Die Gefahr, die ich darin sehe, weist weit über eine bessere oder schlechtere Zukunft der musikalischen Bildung hinaus. Sie verweist auf eine grundsätzliche Änderung des Verhältnisses nicht nur von Bildungs- und Kulturpolitik zur jungen Generation. War diese in den 1970er und 1980er Jahren angetreten, jungen Menschen zu vermitteln, dass sie im Bildungssystem willkommen sind, dass ihr Bildungs- und Kulturengagement gewollt und mit einer Vielfalt von Maßnahmen unterstützt wird, müssen diese heute den Eindruck gewinnen, dass sie möglichst draußen bleiben sollen, dass sie mit ihren Ansprüchen, in die Gesellschaft hineinzuwachsen und diese mitzugestalten, in erster Linie stören, zumal deren Einlösung mit höheren Kosten  verbunden sein könnten. Auf diese Weise erleben wir in Österreich gerade die systematische Produktion von Frustration und Perspektivlosigkeit, die an allen Orten zu spüren ist.

Während sich alle diejenigen, die es – auf welche Weise immer – geschafft haben, „sich ins System“ zu retten und sich die Notwendigkeit ihrer privilegierten Existenz mit immer neuen Gutachten und Expertisen absichern lassen, bleiben alle anderen draußen, deren Lebensperspektiven sich zunehmend eintrüben.  Aber selbst für diejenigen, die drinnen sind, stellt sich zunehmend die Frage, woher sie – eingeklemmt in eine Unzahl von Vorschriften und Rücksichten – noch die Lust und die Energie nehmen sollen, sich zu engagieren, sich für neue Entwicklungen einzusetzen und allenfalls auch den Kopf dafür hinzuhalten. Und so haben wir es mit einer fatalen Retrobewegung zu tun, die in dem Maße, in dem eine weitgehend konzeptlose Bildungs- und Kulturpolitik sich außerstande erweist, eine überfällige Durchlässigkeit zu gewährleisten auf den Status zurückfällt, den hinter sich zu lassen sie in den 1970er Jahren angetreten ist.

Kann der Markt die Lähmung des staatlichen Engagements überwinden?

Wie verfahren die Situation mittlerweile geworden ist, hat mir ein Vorschlag eines ansonsten überzeugten Etatisten in einem der jüngsten Roundtables mit namhaften VertreterInnen aus den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst und Bildung zur Förderung eines verstärkten privaten Engagements zugunsten kultureller Bildung gezeigt: Danach sollten künftig „Bildungsvoucher“ an alle SchülerInnen verteilt werden. Die damit Bedachten erhielten so  die Wahlmöglichkeit, selbst zu entscheiden, welches (kulturelle) Bildungsangebot ihnen am ehesten entsprechen würde. Es wäre nicht mehr die Bildungspolitik sondern der Markt, der für die Qualität eines zeitgemäßen Bildungsangebotes sorgen würde.

Es gibt Alternativen – anderswo

Dass die österreichische Entwicklung mit seiner  – nicht zuletzt wegen des hohen Steueraufkommens – besonders teuren Staatsverwaltung nicht naturgegeben ist, zeigt die Entwicklung in Deutschland. Dort hat das Bildungsministerium zuletzt ein Programm zu kultureller Bildung „Kultur macht stark“ für die „besondere Förderung von bildungsbenachteiligten Kinder und Jugendlichen“ (Bildungsministerin Anette Schavan)  in der Höhe von 230 Mio. Euro aufgelegt. Dazu kommen große Einzelprojekte wie „jeki – Jedem Kind ein Instrument“ oder „Kulturagenten“, deren Übertragung auf Österreich nicht nur die Herzen von Rudolf Buchbinder und Co höher schlagen lassen würde. Zusätzlich sind 5 Mio. Euro für die Beforschung des Sektors Forschung kulturelle Bildung vorgesehen, um mit deren Ergebnissen die Wirkungen für eine umfassende Schulentwicklung zu erhöhen.

Ende einer Dienstfahrt oder Hoffnung auf „schöpferische Zerstörung“ (Joseph Schumpeter)

Heinrich Böll hat 1966 die Erzählung „Ende einer Dienstfahrt“ veröffentlicht. Er erzählt darin die Geschichte des Soldaten Georg Gruhl, der den Befehl erhält, durch ziellose Fahrten mit einem Jeep den für die routinemäßige Inspektion erforderlichen Kilometerstand zu erzeugen. Er weigert sich, diesem Befehl nachzukommen, und fährt stattdessen nach Hause. Gemeinsam mit seinem  Vater verbrennt Gruhl den Jeep unter Absingen von Litaneien auf offener Straße. Die Pointe der Erzählung besteht darin, dass die anfänglich als politisch motiviert eingestufte Straftat  im Laufe der Verhandlung und nach der Anhörung des Kunstprofessors Büren als eine Form der Anti-Kunst („Happening“) bewertet wird.

Auch wenn österreichische Armeeangehörige zurzeit jammern, ihnen ginge der Sprit aus, so wurden doch im Rahmen der Bildungsverwaltung zum Nachteil aller Beteiligten noch nie so viele leere Kilometer zurückgelegt. Höchste Zeit für einen neuen Georg Gruhl aus der Bildungsverwaltung, oder eine Person, die den Mut aufbringt, nach Hause zu fahren und das unnütz gewordene Gerät zu zerstören. Die Bereitschaft, seine/ihre Leistung als Kunst anzuerkennen, wäre groß.