Ebola

Vor rund zehn Monaten wurde zum ersten Mal bei einem Kleinkind in Guinea die tödliche Seuche Ebola diagnostiziert. Bereits vier Tage später ist das Kind gestorben, bald nach ihr ihre Schwester, die Mutter und die Großmutter. Die Weltgesundheitsorganisation spricht in diesen Tagen von rund 4.500 Todesfällen. Darüber hinaus gelten rund 9 000 Menschen als mit dem Virus infiziert; Tendenz ungebrochen exponentiell steigend.

Außerhalb Westafrikas gab es bislang nur einige wenige Fälle; umso größer ist die öffentliche Erregung vor allem in Europa und den USA, deren Wortführer auf eine möglichst umfassende Abschottung gegenüber dem afrikanischen Kontinent drängen. Die Stimmung angesichts insgesamt dreier Ansteckungsfälle erscheint mittlerweile derart hysterisch, dass sie US-Präsident Barack Obama persönlich vor übertriebener Panik warnen ließ.

Fast hat es den Anschein, als gierten die Medien nach neuen Verdachtsfällen in den Zentren der westlichen Welt, um mit reißerischen Überschriften die Auflagen zu steigern. Wenn diese nicht und nicht auftreten wollen, dann wird das Publikum zumindest mit Detailbeschreibungen von Schutzkleidung und ihrer Verwendung  auf hohem angstlüsternem Niveau gehalten. Und wenn auch das nicht hilft, dann muss eben der Hund einer verstorbenen Krankenschwester in Spanien herhalten, dessen Tötung zur Eindämmung des menschlichen Übertragungsrisikos zum medialen Hypes geriet.

Diese Form der Verseuchung eines grassierenden Verdummungsjournalismus täuscht nur unzulänglich darüber hinweg, wofür Ebola bei Anerkennung individueller und kollektiver Schutzbedürfnisse zu aller erst steht: für „eine Schande für die Welt“ zum einen und für das Sichtbarwerden des Fortbestands eines postkolonialen Rassismus zum anderen.

Über die Kontinuität des heiligen St. Florian-Prinzips: Verschon mein Haus, zünd‘ andere an

Wieso eigentlich hat die Weltgesundheitsbehörde so spät und unzulänglich auf den Ausbruch der Epidemie reagiert? Warum wurden die Hilferufe von Organisationen, wie Ärzte ohne Grenzen viele Monate nicht gehört? Warum war es bislang nicht möglich, die völlig unzureichenden Gesundheitssysteme in Ländern wie Guinea oder Liberia (es sind dort insgesamt 50 ausgebildete Ärzte für vier Millionen Einwohner zuständig) nachhaltig zu unterstützen? Warum hat die Forschung zur rechtzeitigen Entwicklung eines Impfstoffes völlig versagt?

Das sind nur einige Fragen, die den Verdacht nähren, der Umstand, dass in Westafrika eine Seuche wütet, reiche nicht aus, um die Weltöffentlichkeit zu interessieren oder gar zum Handeln zu motivieren. Solange die Gefahr „nur“ einer dunklen Masse von Afrikanern, deren Heimatländer die meisten EuropäerInnen noch  immer Schwierigkeiten haben, auch nur auf der Landkarte zu verorten, besteht offenbar kein Handlungsbedarf (außer allenfalls zu entscheiden, Flüge nicht nur in die Krisenregion sondern auch in andere Länder Afrikas zu vermeiden, deren Hauptstädte zwar weiter von Monrovia oder Conakry  entfernt sind als Berlin oder Paris aber auch in Afrika gelegen sind). Das offizielle Österreich liegt da voll im Trend, wenn die Bundesregierung bislang darauf beschränkt hat, sage und schreibe 200.000 Euro für Schutzanzüge und medizinische Ausbildung locker zu machen, während insgesamt fünf(!) Helfer vor Ort  ihr Leben riskieren, um anderen zu helfen.

„Afrika ist auf dem Weg, der Welt das neue Gesicht einer afrikanischen Modernität zu zeigen“ (Achille Mbembe)

Zu tief eingegraben hat sich das Bild Afrikas in den Augen des Westens, Ort eines ebenso unvermeidlichen, wie anonymen millionenfachen Todes zu sein; eine lapidare Zuschreibung, die es weitgehend unbeeindruckt hinzunehmen gilt.  Allein in Liberia sind bis heute rund 100 Gesundheitskräfte an der Epidemie gestorben. Kein einziger von ihnen hat es mit Namen  in die Nachrichten westlicher Medien geschafft; stattdessen der spanische Hund mit Namen Exkalibur, der so ungewollt zum Symbol für die Ungebrochenheit eines rassistischen Blicks westlicher Medien mutiert.

Zu dieser Einseitigkeit gehört auch, dass die Medien in afrikanischen Ländern offenbar nicht in der Lage sind, die westliche Medienhegemonie zu durchbrechen und sich über ihre Landesgrenzen hinweg Gehör zu verschaffen. Und so erfahren wir nichts über die aktuelle Situation aus erster Hand. Die am schwersten Betroffenen bleiben in aller Regel stumm; ihre Bedeutung erschöpft sich bestenfalls in Ziffern, die in Form von Statistiken den Eindruck eines Bedrohungspotentials verstärken.

Der afrikanische Historiker und Politikwissenschafter Achille Mbembe hat in einem jüngst erschienenen Interview „Ebola ist wie wir: Mobil“ in der deutschen Wochenzeitschrift Die Zeit (N° 43/2014) noch einmal darauf hingewiesen, wie sehr Ebola bestehende Stereotypien über den afrikanischen Kontinent verfestigt. Einmal mehr werden AfrikanerInnen von den Gutwilligen auf ihre Rolle als Opfer und von allen anderen als Bedrohung festgelegt. Den unangenehmen Nebenwirkungen sieht Mbembe einmal mehr in der öffentlichen Wahrnehmung des afrikanischen Kontinents, sich selbst nicht regieren zu können, zugleich aber nichts mit seinen BewohnerInnen zu tun haben zu wollen. Anstatt das Selbstbewusstsein und seine Kraft zur Selbstregierung der afrikanischen Gesellschaften zu stärken überwiege der Befund, in Permanenz auf Unterstützung und Kontrolle von außen angewiesen zu sein: „Es gehört zu den fatalen Wirkungen solcher Einsätze von außen, dass sich dieser Eindruck der Unmündigkeit verbreitet“.

Auf eine fatale Weise bestätigt Ebola den weiteren Ausbau der Festung Europa, deren verunsicherte BürgerInnen darin bestätigt werden, sich gegenüber allen Zuzugsversuchen aus dem Süden abzugrenzen. Eigentlich – so Mbembe – sei es „unendlich absurd, dass ein riesiger Kontinent voller Rohstoffe, voller Entwicklungsmöglichkeiten seine junge Generation unter Lebensgefahr in Länder aufbrechen sieht, die sie nicht haben wollen“. Einer der Gründe liegt in der Weigerung einer medialen Öffentlichkeit, ein differenzierteres Bild des afrikanischen Kontinents zu entwerfen, auf dem – wie überall – vernunftbegabte Akteure tätig sind, nur dass sie in Afrika unter postkolonialen Bedingungen handeln. Stattdessen beschränken sie sich auf die Vermittlung des Bildes eines „einfältigen großen Kindes“, dem der Westen zu zeigen hat, wo es lang geht.

Verbesserung der Mobilität als innereuropäisches Ziel – aber bitte nicht aus Afrika

Eine Richtung der Mobilität für das einfältige große Kind bleibt – mit Ebola umso mehr – ausgeschossen. Es ist kaum anzunehmen, dass angesichts der Bedrohung durch die Ebola Epidemie in Afrika europäische Politik stark genug ist, seine Migrationspolitik den Realitäten anzupassen. Also endet jeder Mobilitätsversuch bereits in Afrika an den Grenzzäunen der spanischen Enklaven Ceuta und Melilla, in denen sich zuletzt wieder hunderte Flüchtlinge verfangen haben. Die vielen anderen, die sich auf die gefährliche Reise übers Mittelmeer machen, werden in Zukunft noch häufiger vom Tod durch Ertrinken bedroht sein. Die italienische Initiative mit dem euphemistischen Namen Mare Nostrum, die bislang rund 150 000 Menschen das Leben gerettet hat und als Konsequenz auf die Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa vor einem Jahr, in der rund 600 Flüchtlinge wegen fehlender Hilfeleistungen umgekommen sind,  eingeführt worden ist, steht vor dem Ende. Die anderen europäischen Länder können sich  nicht darauf einigen, Italien zu unterstützen und eine gemeinsame Finanzierung sicher zu stellen.

Wider die Gewöhnung: Das ist einfach unerträglich!

Uns wird die Aufgabe zugemutet, uns an die Bilder toter AfrikanerInnen zu gewöhnen, es irgendwie als Normalität europäischen Zusammenlebens zu sehen, dass an seinem südlichen Rand Menschen wie die Fliegen verrecken, ohne dass noch irgendjemand ein besonderes Aufheben darüber machen wollte; jedenfalls solange die Bedrohung nicht die unmittelbaren eigenen Lebensverhältnisse tangiert.

Europa ist dabei, sich eine harte Haut wachsen zu lassen. Da mögen im Nahen Osten jeden Tag aufs Neue hunderte Tote bei Attentaten umkommen oder tausende Menschen in einem Teil Afrikas an Ebola sterben; Europas Rolle beschränkt sich zunehmend auf die des Zählens der Opfer und des Sicherstellens, selbst möglichst unberührt davon zu bleiben.

Dieses Verhalten mag pragmatisch verständlich erscheinen; mit der Idee eines Kontinents, der sich einmal als Ort humaner und damit kultureller Selbstvergewisserung mit globaler Ausstrahlungskraft verstanden hat, hat das nichts mehr zu tun. Der Prozess des „Dwarfing of Europe“ geht weiter.

Kulturelle Bildung mit Haltung kann helfen

Was das mit kultureller Bildung zu tun hat? Vielleicht mehr als uns lieb ist. Da ist zum einen der Bedarf, schlicht mehr zu wissen von den kulturellen Verfasstheiten in anderen Weltgegenden, um die Menschen dort besser verstehen und ihnen auf Augenhöhe begegnen zu können.  Und zum anderen schreien die Umstände, mit denen wir zurzeit konfrontiert sind, nach einer durchaus erlernbaren Haltung, die unser kulturelles und damit gesellschaftspolitisches Selbstverständnis ganz unmittelbar berührt. Neben dem notwendigen Wissen ist es die Haltung, die die Voraussetzung dafür bildet, um das, was da in und rund um Europa passiert nach wie vor als das zu bezeichnen, was es ist:

Als ein unerträglicher Skandal hingenommener Verelendung, der – trotz aller gegenwärtigen politischen und medialen Verblendung – nicht nur die unmittelbar Betroffenen angeht sondern in Form einer Mischung aus Zynismus und Gleichgültigkeit auch auf die zurückwirkt, die meinen, sich damit arrangieren zu sollen und keinen Willen mehr aufzubringen vermögen, dagegen Widerspruch einzulegen.

 Die dafür genutzten ästhetischen Ausdrucksformen dürfen durchaus unterschiedlich sein.

 

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Das Gwirxt mit der Kunst

Wenn mich nicht alles täuscht, dann zeichnet sich ein neues Interesse an „Kunst“ im Diskurs kultureller Bildung ab. Gefördert wird dieses u.a. durch die Bereitschaft einer Kulturpolitikforschung, nunmehr auch kulturelle Bildung in den Kanon ihrer Forschungsfelder aufzunehmen. Lange Zeit war das ein Thema, das auf Grund seiner vorrangig advokativen Ausrichtung als nur sehr beschränkt verhandlungswürdig angesehen wurde und den VertreterInnen der akademischen kulturpolitischen Forschung bestenfalls ein mitleidiges Lächeln abzuringen vermochte. In konkreter Umsetzung bemühen sich kulturpolitische Anwälte wie die IG AutorInnen  – aufgeschreckt durch den grassierenden Standarisierungswahn – die Beschäftigung mit Literatur in der Schule zu retten: Sie fordern, das Fach „Deutsch“ in „Deutsch und Literatur“ umzubenennen.

Darüber hinaus finden zurzeit eine Reihe einschlägiger Veranstaltungen statt, die versuchen, die Beziehung von Kunst und Bildung neu auszutarieren. Als ein Beispiel sei die Tagung „Im Dazwischen –KünstlerInnen und Künstlerinnen vermitteln“ des deutschen Netzwerks Forschung Kulturelle Bildung  angeführt.

Auch in der jüngst veröffentlichen Denkschrift des Rates für Kulturelle Bildung „Schön, dass ihr alle da seid – Teilhabe und Zugänge“ findet sich ein, wenn auch nur kurzer Hinweis auf die „besondere Bedeutung der Künste für die Kulturelle Bildung“. Sie würden unvergleichliche Erfahrungs- und Bildungswelten (bieten), die das Leben über die gesamte Lebensspanne bereichern und gerade durch ihre Nicht-Alltäglichkeit, ihre Differenz zum Alltag gekennzeichnet“ seien.

Kunst ist nicht gleich Kunst ist nicht gleich Kunst

Das klingt gut. Aber was bedeutet diese Form der Beschwörung in der schulischen Alltagspraxis? Immerhin vermeidet diese Bezugnahme auf einen emphatischen Kunstbegriff jede nähere Bestimmung dessen, was darunter (noch) gemeint sein könnte. Und so ist – das ist meine Befürchtung – der weiteren Verbeliebigung Tür und Tor geöffnet.

Reden wir also von einer „Kunst“, deren Vermarktwirtschaftlichung  Georg Seeßlen und Markus Metz zuletzt in ihrem Buch „Geld frisst Kunst- Kunst frisst Geld“ akribisch analysiert haben. Als Wirtschaftsfaktor hat sie mittlerweile ein „irres Geschäft“ hervorgebracht, das von einer kleinen Insider-Gruppe von Galeristen und einer wachsenden (neu)reichen Sammlerszene zunehmend außerhalb Europas beherrscht wird (Diese Kunst hat es gerade auf die Titelseite des Wirtschaftsmagazins trend geschafft).

Oder reden wir von einer „Kunst“, die es – jedenfalls nach dem Künstler, Kurator und Medientheoretiker Peter Weibel – gar nicht mehr gibt, weil „die Kunstszene abgedankt“ und ihr Geschäft den Massenmedien mit ihren immer neuen Hypes um austauschbare Celebrities überlassen  hätte?

Oder geht es gar um die künstlerische Wiederaufnahme eines künstlerischen Programms zur Verbesserung der Welt, die „Kunst“ vorrangig als Form der (politischen) Intervention in gesellschaftliche Problemfelder begreift, um – wie das „Zentrum für politische Schönheit“ – traditionelle Vorstellungen von „Kunst“ nachhaltig irritieren ?

Auf der Suche nach Basiskonzepten – Was konkret wollen wir mit Kunst in der Schule erreichen?

Die Geschichte wird möglicher Weise noch komplizierter, wenn wir versuchen, die ästhetischen Diskurse der unterschiedlichen Kunstformen voneinander zu unterscheiden. Und ganz haarig könnte es werden, wenn wir diese auf das Medium Schule bzw. Bildungseinrichtung beziehen. Immerhin gelten hier zum Teil völlig andere Zielsetzungen, die weder darauf hinauslaufen, die Investitionsbedürfnisse einer neureichen Klientel, die Hermetik des ästhetischen Diskurses unter Eingeweihten zu sichern oder eine politische Kampfmoral mit ästhetischen Mitteln zu stärken.

Die Künstlerin und Kunstvermittlerin Carmen Mörsch hat in ihrer „kurzen Geschichte von KünstlerInnen in der Schule“ auf die beträchtlichen Widersprüche hingewiesen, die mit der Einbeziehung von KünstlerInnen im schulischen Unterricht bereits in den 1970er Jahren entstanden sind. Sie sollten den Kindern einerseits „Freude und Frohsinn“ bescheren und sie vom Schulstress entlasten. Andererseits sollten die KünstlerInnen mithelfen, die bestehenden hierarchischen Schulstrukturen zu irritieren und damit neue Formen des Lehrens und Lernens aufzuzeigen. Diese weitgehend unvereinbaren Ansprüche gelten auch heute noch. Es sind aber viele neue dazu gekommen, etwa wenn es um die Förderung der Kreativität der SchülerInnen, der Befähigung zur sozialen Integration und Multikulturalität oder einem positiven Transfer in möglichst alle, tendenziell als wichtiger angesehene Lernfelder geht.

Also was jetzt, könnte man ausrufen. Die Beantwortung der Frage wird nicht leichter, wenn man die Erfahrungen diesbezüglicher Bemühungen der letzten 40 Jahre einbezieht, die mehr als vermuten lassen, dass sich die Beschäftigung mit Kunst bzw. die Teilnahme von KünstlerInnen am Unterricht so ungefähr als das am wenigsten probate Mittel erwiesen hat, um Schulentwicklung auf struktureller Ebene voranzutreiben (Als einer, der im Rahmen des Österreichischen Kultur-Service viele Jahre lang versucht hat, den Dialog zwischen KünstlerInnen, LehrerInnen und SchülerInnen zu fördern, sage ich nicht, dass alles umsonst war. Immerhin wurden KünstlerInnen instand gesetzt, ihre oft prekären Lebensverhältnisse mit einem kleinen Zubrot aufzubessern. Dazu bleibt die Erinnerung an wunderbare Begegnungen, die bei einzelnen eine lebenslange Leidenschaft für Kunst hervorzurufen vermochte. Diese Erfolgsgeschichten ändern nichts an der Frage, ob es ausgerechnet KünstlerInnen sind, denen man die Herkulesaufgabe nachhaltiger Schulentwicklung aufbürden sollte).

Die überzogenen Hoffnungen auf Verflüssigung erstarrter Strukturen durch „Kunst“ und ihren RepräsentantInnen mögen mit einer grundlegenden Fehlsicht zusammen hängen, KünstlerInnen würden einen außergewöhnlichen Grad an Freiheit repräsentieren, der sich produktiv auf die Zerschlagung des ehernen Schulgehäuses auswirken würde. Unbedacht bleibt dabei,  dass sich eine hierarchischere, manchmal sogar despotischere Organisationsform als der Kulturbetrieb (und damit verbundener mentaler Verfasstheit ihrer Akteure) kaum denken lässt. Der jüngst aus dem Amt gejagte Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann mag dafür als gutes Beispiel dienen: Wir können nur ahnen, was er als nunmehr „Freier Kunstschaffender“ dem System Schule mitzuteilen hätte.

Ist Kunst in der Schule heute „zum Vergessen“?

Die Unmöglichkeit, die Frage nach Funktion und Wirkung von „Kunst“ zu lösen, hat bislang zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen geführt. Die einfachste scheint mir nach wie vor die dominanteste: Weiter wie bisher, die Fahne der Kunst hochzuhalten, keine Widersprüche aufkommen lassen. Es gibt aber auch die diametral entgegen gesetzte Variante: Sie kommt aus der Richtung einer Fachdidaktik, die – wie der Salzburger Franz Billmayer – meint, „Kunst“ sei „zum Vergessen“. Weil sie sich heute überhaupt nicht mehr festmachen lasse; ihr wohnten keinerlei geistige oder moralische Qualitäten mehr inne; sie könne tendenziell alles sein und mutiere so zu einer gesellschaftlichen Gebrauchsanweisung, die vom Kunstsystem verwaltet würde (). Als solche aber sei sie für den schulischen Unterricht weitgehend obsolet geworden. Bildnerische ErzieherInnen sollten sich stattdessen vorrangig um die „Verbildlichung des Alltags“ annehmen. Gar keine so radikale Forderung, wenn man bedenkt, dass bereits in den 1970er Jahren Kampfschriften gegen den Kunstunterricht (Heino R. Möller) erschienen sind, die sich damals gegen die Unantastbarkeit eins bürgerlichen Kunstbegriffs gewandt haben, dessen Emanationen keinerlei „Analyse gesellschaftlicher Zusammenhänge und damit auch keine Aufklärung und Emanzipation (mehr) bewerkstelligen“ könne.

Ist Kunst im Leben etwas anderes als in der Schule?

Eleganter ziehen sich da schon die beiden Lehrstuhlinhaber für Pädagogik Eckart Liebau und Jörg Zitas mit ihrem Buch „Die Kunst der Schule“ aus der Affäre, wenn sie eine kategoriale Trennung versuchen, die das professionelle Kunstsystem einer Laienkunst und  einer Kunst der Schule gegenüberzustellen versucht. Alle drei seien mit unterschiedlichen Logiken, damit unterschiedlichen Erwartungen, Zielsetzungen, Konzepten und Ausdrucksformen ausgestattet, die sich zum Teil nur sehr peripher überschneiden würden. Da haben wir es also wieder, das „Dazwischen“. Und so kann widerspruchsfrei im einen Feld die Idee der künstlerischen Autonomie ungebrochen aufrechterhalten werden, während sich in der Schule jeglicher künstlerische Ausdruck einem pädagogischen Primat zu unterwerfen habe.

Ich bin mir nicht sicher, ob das immer so war, wenn sich jedenfalls die höheren Schulen des 19. und wohl auch noch des 20. Jahrhunderts in Bezug auf ihren Kunstanspruch als Teil eines Systems kommunizierender Gefäße zusammen verstanden haben, deren vorrangige Aufgabe es im Zusammenwirken mit den Kultureinrichtungen war, die SchülerInnen in die Welt der großen Kunst einzuführen und auf die Erfahrung mit „Kunst“ als einem nur mit den Wissenschaften vergleichbaren Ausdrucks-, Erkenntnis- und Gestaltungsmedium vorzubereiten.

Diese Symbiose (von der freilich die Mehrheit der SchülerInnen seit jeher ausgeschlossen geblieben ist) scheint heute weitgehend aufgekündigt. Noch versucht eine wachsende Gruppe von Vermittlerinnen zumindest in den größeren Kultureinrichtungen den Kontakt junger Menschen mit dem jeweiligen Kunstangebot aufrecht zu erhalten. Das Gros der Jugendlichen erreichen die Einrichtungen aber schon lange nicht mehr. Diese folgen stattdessen – wie Peter Weibel bedauert – der Losung der Dadaisten „Alle Macht den Amateuren“ und gestalten sich ihre ästhetischen Umwelten – ganz ohne Genierer – nach ihrem Gusto nicht gemäß den Vorgaben des Kunstbetriebs, sondern eines mediatisierten Lifestyle-Angebots.

„Kunst“ als eine besondere Errungenschaft europäischer Aufklärung hat die Schule verlassen – Ihr bleibt Zurichtung auf den Arbeitsmarkt und sei es mit ästhetischen Mitteln

Der Schule, so meine Vermutung, ist darüber die Idee von „Kunst“ in seiner ganzen Vielfalt (samt der Notwendigkeit, sich auf ihre Spielformen ebenso mühevoll, wie zeitraubend – jedenfalls aber leidenschaftlich einzulassen) verloren gegangen. Gemeinplätze zur Beschwörung der Wichtigkeit von „Kunst“ vermögen diesen Trend kaum mehr zu verschleiern, auch deshalb – siehe oben – weil wir gar nicht mehr wissen (wollen) wovon wir reden, wenn wir das Wort „Kunst“ in den Mund nehmen.

Geschweige denn lässt sich mit den Akteuren ein konzeptiver Diskurs dazu führen. Zu verklebt erscheint unsere Rede vom „süßen Brei“ scheinbar immer mehr werdender affirmativer Beschwörungen (Wie schwer es ist, noch einmal einen handhabbaren Begriff von „Kunst“ im Rahmen von kulturellen Bildungsbemühungen zu entwickeln, ist mir zuletzt anlässlich der Abfassung eines Gutachtens zur Einrichtung sogenannter „Kunstlabore“ aufgefallen).

Fragen Sie doch einmal ihre Lehrer-KollegInnen, was sie über „Kunst“ denken, was sie ihnen persönlich bedeutet und welchen Stellenwert sie innerhalb und außerhalb der Schule einnimmt. Wir haben zuletzt mit SchülerInnen über ihr Künstlerbild gesprochen. Ihre Assoziationen lassen sich auf das Klischee des seltsamen Pariser Genremalers mit gestreiftem Leibchen, Halstuch,  Pfeife und Barett reduzieren. Die Gestaltung ihrer ästhetischen Umwelten würden sie diesem schrägen Vogel nur sehr bedingt anvertrauen wollen. Dafür gibt es attraktivere Quellen.

Und jetzt sagen Sie mir noch, was der Typ zur laufenden Schulentwicklung beizutragen vermag?

 

Bildnachweis: © Hendrik Terbeck_flickr com

EDUCULT Summer Academy Vienna

Die EDUCULT Summer School richtet sich gezielt an Universitäten und Hochschulen mit Lehrgängen in den Bereichen Kunst, Kulturmanagement, -politik und -vermittlung.

Durch unser umfassendes Netzwerk aus regionalen und internationalen Institutionen und ExpertInnen in den genannten Bereichen bieten wir ein individuelles, auf den Lehrplan abgestimmtes Weiterbildungsprogramm und zeigen die verschiedenen Facetten, die die Kulturhauptstadt Wien zu bieten hat. Der Bogen spannt sich von traditioneller Hochkultur über zeitgenössische Subkultur bis hin zu touristischen versus sozial geleiteten Vermittlungsangeboten.

On the whole – as we reflect back on the summer school two months later – we continue to marvel at the depth and scope the summer school managed to cover in eight short days. The Summer School in Vienna with EDUCULT was precisely the immersive, research driven experience the UB Arts Management Program was looking for. 

Kevin R. Leary | Assistant to the Director of the University at Buffalo/NY

Die Studierenden setzen sich mit theoretischen Grundlagen auseinander und bekommen Eindrücke in verschiedene Bereiche der Praxis, wie Finanzierung, Management, Kuration, Produktion und Vermittlung von Kunst und Kultur. In der diskussionsbasierten und partizipativen Umsetzung wird den Studierenden die Möglichkeit gegeben, sich aktiv und kritisch einzubringen und ihre Erfahrungswelten perspektivisch zu erweitern.

We at EDUCULT are looking forward to meeting bright young people from all over the world and discussing developments in arts, cultural management and policy. Together we enlarge our understanding of culture and develop a vibrant learning network.

PD Dr. Michael Wimmer | Founder of EDUCULT

 

Rückblick EDUCULT Summer School mit Studierenden des „Arts Management Program“ der University Buffalo/NY

Evaluation zu Projekten des Goethe Instituts im Kontext der Transformationspartnerschaften

Nach der Evaluation des Kulturmanagement-Fortbildung für MitarbeiterInnen von Kultureinrichtungen in Nordafrika und Nahost ist EDUCULT mit der Evaluation von zwei weiteren Projekten im Rahmen der Initiative Kultur und Entwicklung des Goethe-Instituts beauftragt.

Moving MENA

Der Moving MENA Mobilitätsfonds wurde 2012 im Rahmen der Transformationspartnerschaften zwischen Deutschland, Ägypten und Tunesien eingerichtet. Seine Mittel erhält er vom deutschen Auswärtigen Amt, für die Organisation ist das Goethe-Institut Kairo zuständig. Der Moving MENA Mobilitätsfonds richtet sich an jüngere arabische Kulturschaffende mit dem Ziel, Austausch und Vernetzung zwischen den kulturellen Szenen im arabischen Raum und Deutschland zu ermöglichen.

Cultural Innovators Network (CIN)

CIN ist ein gemeinsames Projekt von mehr als zwanzig Goethe-Instituten der Mittelmeerregion. Die Koordination liegt beim Goethe-Institut Rabat. CIN bietet jungen, zivilgesellschaftlich aktiven Menschen aus Europa und der MENA-Region die Möglichkeit sich kennenzulernen, zu kommunizieren und sich weiterzubilden

Methoden

Wie kann man im Rahmen einer Evaluierung mit der Komplexität und Dynamik von Projekten im Bereich Kultur und Entwicklung umgehen? Wie kann man einen Zusammenhang zwischen Ursachen und Effekten herstellen? Wie Fragen nach Nachhaltigkeit und Wirkung analysieren? In vorangegangenen Evaluationsaufträgen hat EDUCULT zwei methodisch-theoretische Ansätze angewendet, die sowohl eine Analysestruktur und einen theoretischen Bezugsrahmen bieten, als auch die nötige Offenheit für die Unvorhersehbarkeit und Ambiguität gewährleisten, die Entwicklungsprozessen zu eigen ist – insbesondere, wenn sie sich auf kulturelle bzw. kulturgestützte Entwicklungen beziehen. Zum einen eine Contribution Analysis anhand einer Theory of Change, mit der wir bei Moving MENA arbeiten werden. Zum anderen die Akteur-Netzwerk-Theory, die wir beim Cultural Innovators Network einsetzen werden.

Beide Ansätze fokussieren auf qualitative Methoden wie Interviews. Zusätzlich werden wir für jede Projektevaluierung eine Dokumentenanalyse einsetzen. Online-Befragungen der Reisenden bei Moving MENA und der Mitglieder des CIN sind ein weiterer Arbeitsschritt. Beim Cultural Innovators Network wird es zusätzlich eine teilnehmende Beobachtung sowie einen Evaluations-Round Table im Rahmen von Netzwerktreffen geben.

Beobachtungen und Eindrücke von der ICCPR 2014 in Hildesheim

Wissenschaftliche Großveranstaltungen dieser Art sind nur schwer zu überblicken. Auch in diesem Fall, bei der „iccpr“ 2014 in Hildesheim, gab es mehr als 200 Einzelpräsentationen aus unterschiedlichsten kulturpolitischen Blickwinkel, die auf bis zu 14 parallele Sessions aufgeteilt waren (siehe dazu das Detailprogamm). Naturgemäß machen sich – auch im Vergleich zu früheren Veranstaltungen in Barcelona (2012), Jyväskylä (2010),Istanbul (2008), oder Wien (2006), die EDUCULT ausgerichtet hat – gewisse Routinen breit, die die Beschäftigung mit Fragen von „Kultur und Entwicklung“, „Kultur und Diplomatie“ „Kultur und Stadtentwicklung“ oder „Kulturindustrien“ immer wieder kehren lassen. Auffällig war dabei, dass sich diese Phänomene einerseits auf den jeweiligen besonderen  Kontext („place“) bezogen und andererseits teilweise überraschende, globale Querverbindungen („common ground“) sichtbar wurden. Dennoch: während sich ForscherInnen in Europa und der „westlichen Welt“ in ihrer kritischen Analyse vor allem am „Staat“ und „der Ökonomisierung“ abarbeiten, zeigten die Beiträge der afrikanischen und arabischen TeilnehmerInnen auf eindrückliche Weise, was es bedeuten kann, wenn der Staat von radikalen Kräften attackiert oder gar übernommen wird und damit grundlegende rechtsstaatliche und demokratiepolitische Voraussetzungen außer Kraft gesetzt werden. Der Anspruch, wissenschaftlich-kritisch zu arbeiten oder Kunst zu produzieren ist damit per se politisch bzw. verbinden sich Bildungsinteressen, künstlerische Interessen, wissenschaftliche Interessen und wirtschaftliche Interessen im Anspruch der gesellschaftlichen Transformation. So betrat in Hildesheim die „gute alte“ Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik wieder die Bühne, sichtlich verjüngt und in weiblichem, aktivistischem und arabischen Gewand.

Die Fragen „Are we just playing an academic career game? Or are we agents of change in a development context?“, die Jonathan Vickery von der University of Warwick in seinem Abschlusskommentar an das Publikum richtete, ist nur für diejenigen relevant, die sich in der luxuriösen Situation befinden, darüber frei entscheiden zu können. Vermutlich ist es auch diesem Fokus auf „change“ und „agency“ geschuldet, dass bei der Vielzahl der vorgestellten Forschungsprojekte die spezifische Methodendiskussion nur eine nachgeordnete Rolle spielte. Wie es Jenny Johannisson, Professorin an der University of Borås, Schweden und Chair des Scientific Committee ausdrückte, gibt es nach wie vor einen Bedarf, einen akademischen, damit sowohl theoretisch als auch methodisch fundierten kulturpolitischen Fachzusammenhang zu etablieren und sich dabei auch den methodischen und theoretischen Diskussionen in den „großen“ Disziplinen – Politikwissenschaften, Sozialwissenschaften, Geschichtswissenschaften – zu stellen. Während bei vorangegangenen Konferenzen die Kluft zwischen akademischer und angewandter – politikberatender, aktivistischer – Forschung noch unüberwindbar schien, zeigten sich in Hildesheim Anzeichen für eine Trendwende.

Vor allem die VertreterInnen einer jüngeren, weiblich dominierten Generation von ForscherInnen und AktivistInnen – unter anderem Rana Yazaji von Culture Resource (Ägypten) – sprachen sich dafür aus, dass es insgesamt dem Bereich zuträglicher sein kann, den Dialog zu suchen und sich dabei der unterschiedlichen Kontexte und Rollen auf produktive Weise bewusster zu werden. Besonders positiv ist dabei zu sehen, dass die Konferenz Wert darauf legte, die Hierarchien zwischen NachwuchswissenschafterInnen, PraxisforscherInnen und akademisch und fachlich etablierten WissenschafterInnen möglichst flach zu halten und in den Präsentationsformaten einen Austausch auf Augenhöhe zu ermöglichen. Einzelne Beiträge thematisierten auch auf methodischer Ebene neue Allianzen, etwa im Bereich von partizipativer Forschung und Entscheidungsfindung oder der Rolle von ExpertInnen im politischen Agenda-Setting.

Es ist den VeranstalterInnen gelungen, eine Reihe von jungen KulturaktivistInnen und ForscherInnen aus arabischen und darüber hinaus aus einer Reihe arabischer Ländern, die bislang keinen Zugang zur internationalen Forschungsszene hatten, in die vormalige Festung Marienburg – jetzt der Hildesheimer Kulturcampus – zu bringen. In Panels zum Verhältnis von „Kulturpolitik und politischer Krise“ berichteten sie von ihren Bemühungen, in den aktuellen Konflikten ihre Vorstellungen einer progressiven Kulturarbeit umzusetzen. Zum Teil persönlich existentiell gefährdet brachten sie ihren ungebrochenen Willen zum Ausdruck, sich mit kulturellen Mitteln für eine bessere Gesellschaft einzusetzen. Dabei steht der Widerstand gegen jede Form der Zensur ganz oben auf der kulturpolitischen Agenda. In ihrem Kampf gegen autoritäre Herrschaftsformen vermittelten sie den übrigen TeilnehmerInnen auf ganz unmittelbare Weise die Kraft ihrer demokratiepolitischen Ansprüche und darüber hinaus eine Form der Neugierde, der Klarheit der Analyse, der Bereitschaft zum Handeln und damit einer Form von Lebensenergie, die in weiten Teilen der krisengeschüttelten westlichen Marktwirtschaften verlernt zu werden droht und die zunehmende Abgestumpftheit kultur-politischen Engagements erst richtig deutlich gemacht hat.

Eine kritische Bewertung tut not: Was ist aus dem Versprechen einer umfassenden Demokratisierung durch Kulturpolitik geworden?

Michael Wimmer hat in seinem Referat, das sich vorrangig mit demokratiepolitischen Gefährdungen im Rahmen aktueller kultureller und kulturpolitischer Trends in Europa beschäftigt hat, versucht, diesen Faden aufzugreifen, um so auf die gefährliche Koinzidenz der grassierenden Demokratiemüdigkeit innerhalb Europas und dem Wiedererstarken autoritärer Herrschaftsformen an seinen Rändern hinzuweisen. Die unmittelbare kulturpolitische Dimension ergibt sich in der Nichteinlösung demokratiepolitischer Versprechen, mit denen VertreterInnen von Kunst und Kultur bei der Mitwirkung an einer umfassenden Demokratisierung einst angetreten sind. Dazu berichtete eine junge Kollegin aus Nigeria von den Versuchen, abseits der staatlichen Strukturen eine zivilgesellschaftliche getragene Kulturpolitik zu konstituieren, die mithelfen soll, den afrikanischen Kontinent sukzessive aus seiner ökonomischen, politischen aber auch kulturellen Randständigkeit zu befreien.

Good Guy und Bad Guy: Über vorschnelle Zuschreibungen einer Zivilgesellschaft als vermeintlich einheitliche positive Kraft

A propos Zivilgesellschaft: Ein Panel beschäftigte sich mit dem neuen EU-Kulturprogramm „A Creative Europe“ und den damit verbundenen Konsequenzen. Gemeinsam war den PräsentatorInnen der Befund einer wachsenden ökonomischen Überformung auch des Kultursektors. Beklagt wurde aber auch die weitgehend bürokratische Vorgangsweise beim Zustandekommen, die die Ansprüche der Zivilgesellschaft weitgehend außen vor lassen würden. Diese Behauptung erzwingt freilich eine genauere Definition dessen, was gerne kursorisch als „Zivilgesellschaft“ verhandelt wird und doch ein Konglomerat unterschiedlichster Interessen darstellt, deren VertreterInnen möglicher Weise mit Ausnahme des Wunsches nach mehr öffentlichen Mitteln („Seventy Cents for Culture“) nur wenig gemein haben. Ungeachtet dessen bleibt der Anspruch, nach der Erprobung der „Open Coordination Method“ auch im Kulturbereich einen Schritt weiter zu gehen, neue Governance-Modelle zu entwickeln, um damit dauerhaft möglichst allen Stakeholder-Gruppen in sie betreffenden Entscheidungsfindungsprozessen einzubeziehen.

Reden wir so viel über Kulturpolitik weil sie so unwichtig ist?

In einem Panel zu Definitionsfragen von Kulturpolitik entwarf Clive Gray sein theoretisches Konzept der Ambiguität (kultur-)politischer Entscheidungen. Dieses läuft darauf hinaus, dass ein besonders Charakteristikum von Kulturpolitik darin bestünde, nicht zu entscheiden und Interessenskonflikte in Schwebe zu halten. Dies erweise sich insgesamt als politisch erfolgreicher als das Herstellen klarer Verhältnisse, das zumindest einen Teil der davon betroffenen Klientel verärgern würde. In gewisser Weise stimmte ihm Anders Frelander aus Schweden zu, der in seiner Analyse der schwedischen Kulturpolitik im historischen Verlauf zum Schluss kam, dass – ungeachtet der grundlegenden politischen Veränderungen, die das Land mit dem Ende der sozialdemokratischen, auf Wohlfahrtstaatlichkeit gerichteten Hegemonie – Schweden durch eine weitgehende Kontinuität im Bereich der Kulturpolitik („inertia“) gekennzeichnet sei. Provokativer war da schon ein Einwurf aus dem Publikum, der noch einmal darauf aufmerksam machte, um welch verschwindend kleinen (und damit unbedeutenden) Sektor es sich beim Kulturbereich handeln würde. Diese Marginalität führe zu Vermutung, diese müsse durch einen diskursiven Mehraufwand kompensiert werden, der die Existenz vielfältiger Scheinkonflikte nähre, die sich bei näherer Betrachtung – jedenfalls für die gesellschaftliche Entwicklung – als weitgehend irrelevant erweisen würden.

Österreichs Kulturpolitik; Angebotsseitig im oberen Mittelfeld, nachfrageseitig Schlusslicht

Zum Abschluss stellte der junge slowenische Kulturpolitikforscher Andrej Srakar einen neuen „Cultural Policy Index“ vor. Für diesen synthetisierte er eine Vielzahl statistischer Daten, um so ein Ranking der europäischen Länder entlang der Faktoren: öffentliches Engagement, privates Engagement und Partizipation zu versuchen. Die Position Österreichs, dessen kulturpolitischen Zustand zuletzt Veronika Ratzenböck von der Österreichischen Kulturdokumentation in ihrem Beitrag der kulturpolitischen Mitteilungen „Tauziehen zwischen Tradition und Gegenwart“ analysiert hat, weist zumindest eine beträchtliche Anomalie auf: Sowohl  Platz 11 von 33 im Bereich „Public Development of the Cultural Sector“ nach Luxembourg, Norwegen, Dänemark oder Frankreich als auch Platz 14 nach Island, Lettland, Norwegen und die Niederlande im Bereich „Private Engagement“ stellen einen guten Durchschnitt dar,  sind aber keine Bestätigung der Selbstzuschreibung als „Kulturgroßmacht Österreich“. Dramatisch wird es im Bereich Partizipation, wo Österreich gerade noch vor Zypern und Irland das Schlusslicht bildet. Wollte man aus diesen Zahlen einen kulturpolitischen Auftrag herauslesen, dann sollte man sich endlich an die Instrumente machen, die seit den 1970er Jahren einen breiteren Zugang zum kulturellen Leben versprechen aber nicht einlösen.

Kulturelle Bildung hat ihren Platz (zumindest in Hildesheim) gefunden

Somit gelang es den Veranstaltern insgesamt, der Veranstaltung diesmal in einzelnen Punkten eine Neuausrichtung zu geben, die für frischen Wind und so für einen guten Tagungsverlauf gesorgt hat. Da gab es zum einen eine Reihe von Semi-Plenary Sessions, die sich mit ausgewählten Fragen wie „Kulturpolitik und Transformation“, „Kulturpolitik und Kulturelle Bildung“ und „Kulturpolitik und Partizipation“ beschäftigten und hinreichend Zeit für eine vertiefende Diskussion ermöglichten. Mit der Themenwahl rekurrierten die Veranstalter durchaus auf eigene Forschungsschwerpunkte und stießen dabei dennoch auf unerwartet großes Interesse. Besonders auffällig war, dass kulturelle Bildung einen Platz auf der iccpr gefunden hat. Nicht nur in Deutschland, den Niederlanden, Skandinavien und England, sondern auch in einer Reihe von asiatischen Ländern hat sie sich als kulturpolitischer Schwerpunkt etabliert und verdient es somit, nicht länger nur aufgrund ihrer pädagogischen Inhalte und Ziele desavouiert, sondern auch als kulturpolitisches Thema analysiert zu werden.

Die Session zu kultureller Bildung beschäftigte sich in einer ersten Runde mit der ewigen Frage „Art for Art‘s Sake?“ Wohltuend war, dass beide Panellisten keine ExpertInnen der kulturellen Bildung im engen Sinn waren und so einen distanzierteren Blick auf das Thema ermöglichten:  Während aber Sigrid Røyseng aus Norwegen noch einmal das schon allzu oft durchgekaute  Erfolgsmodell „Kulturrucksack“ in den Mittelpunkt rückte, das es allen norwegischen Kindern möglich machen soll, zumindest einmal im Jahr mit Kunst  in Berührung mit Kunst zu kommen, versuchte Clive Grey von der University of Warwick eine politische Analyse der aktuellen Konjunktur kultureller Bildung, die sich seiner Meinung nach weniger überzeugenden Wirkungsanalysen, als politischen Opportunitäten verdanken würde.

In einem zweiten Teil stellten wir Ergebnisse aus dem EDUCULT-Forschungsprojekt zu deutschen „Modellprojekten kultureller Bildung“ vor, das das Verhältnis zwischen den jeweiligen kultur- und bildungspolitischen Programmansprüchen und den Realitäten der Praxis analysiert. Tobias Fink von der Universität Hildesheim referierte den Stand der Evaluierung des Programms „Kulturagenten“, dessen Ergebnisse helfen sollen, eine nachhaltige Implementierung der Intentionen zu ermöglichen. Die Präsentation einer Meta-Analyse von „Creative Partnerships“, einem der am besten evaluierten Programme überhaupt mahnte zu einem Zurückschrauben der Erwartungen an wissenschaftlich nachgewiesene Wirkungen, wenn sich die Regierung Cameron/Clegg unmittelbar nach Amtsantritt dazu entschloss, des Programm trotz nachweisbar positiver Effekte zu beenden.

Die Karawane zieht weiter: Von Hildesheim nach Seoul 2016

Die Veranstaltung ermöglichte eine Vielzahl anregender, zum Teil neuer Kontakte und Gespräche, die den eigentlichen Gewinn darstellen. Den Veranstaltern ist zu danken und zu gratulieren, dass sie diese Form der Kommunikation möglich gemacht haben (schon auf Grund der Unmöglichkeit, die Marienburg zu verlassen, wenn man sich nicht für 7 km aufs Fahrrad schwingen wollte).

Das Scientific Committee hat eine Vorentscheidung getroffen, dass iccpr 2016 in Seoul stattfinden wird. Nach dem Ausflug ins deutsche Landleben geht es wieder in eine pulsierende Großstadt. Die dort präsentierten Beiträge werden zeigen, ob und wenn ja in welcher Weise der Kontext die Inhalte zu beeinflussen vermag.

Uns bleibt, uns bei den VeranstalterInnen für die wunderbare Gastfreundschaft zu bedanken: Bis auf das Wetter hätte der Wohlfühlfaktor nicht größer sein können. Das Landleben hat schon was.

HOME

Projektbeschreibung

Das Projekt HOME. Demokratische Bildung wurde im Frühling 2014 in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Budapest und der Krétakör Stiftung gestartet. Das Projekt richtet sich an Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren und beruht auf einem Austausch von Wissen, Ideen und Gedanken über demokratisches Handeln zwischen ungarischen und deutschen Schülern, um die jungen Menschen für diese Themen zu sensibilisieren.

Der Zugang zum Thema Demokratie erfolgt nicht über einen klassischen Lernkontext, sondern im Rahmen eines dramapädagogischen Langzeitprojektes, das die Jugendlichen gemeinsam mit der Krétakör Stiftung entwickeln. Partizipation als wesentliches Element von Demokratie ist sowohl Thema des Projektes als auch die Leitidee für das Mitwirken der Beteiligten im Projekt.

Von Frühling bis Dezember 2014 erarbeiten die jugendlichen TeilnehmerInnen gemeinsam mit deutschen und ungarischen Projektpartnern interaktive Spiele und Aktionen zum Thema ziviles Engagement und  demokratisches Handeln, die sich auf ihr unmittelbares Umfeld beziehen, treten miteinander in Austausch und geben ihr Wissen und ihre Erfahrungen weiter. Die Evaluierung durch EDUCULT soll Auskunft darüber geben, inwiefern die Projektziele erreicht werden bzw. konkrete Hinweise zur Weiterentwicklung und Nachsteuerung liefern.

Methode

Evaluationsgegenstand ist der Ablauf und das Projekt- und Prozessmanagement. Untersucht werden soll auch, inwiefern es gelingt, nachhaltige Impulse im Hinblick auf ein demokratisches Engagement zu geben und die jugendlichen TeilnehmerInnen aus Deutschland und Ungarn miteinander zu vernetzen. Dazu werden wir Interviews mit den Projektverantwortlichen und einen Workshop mit den Jugendlichen durchführen. Zusätzlich werden wichtige Dokumente, die im Projektverlauf entstehen, einer Analyse unterzogen. Zu Projektende soll ein Online-Tool entwickelt werden, mit dem die Jugendlichen noch einmal zu ihren Erfahrungen befragt werden können.

Das Ende der Demokratie ist das Ende Europas

Die Zeiten sind beunruhigend. Ich gebe zu, dass mich in diesem Sommer mit den alarmierenden Berichten zu den Krisen in aller Welt eine Unruhe erfasst hat, die ich nur mit anschwellender Angst beschreiben kann. Es ist, als zwänge mich das Geschehen als ein Privilegierter, der nie einen Krieg erlebt hat, vom luxuriösen Beobachterhochstand herunter zu steigen und (endlich) zur Kenntnis zu nehmen, dass da etwas passiert, was ganz unmittelbar mit mir zu tun hat.

In der jüngsten Ausgabe der Zeit findet sich ein Beitrag von Bernd Ulrich mit dem Titel „Die Welt ist verrückt – und was machen wir?“ Ja, was machen wir, wenn wir erfahren, dass weltweit Entwicklungen in Gang sind, die drauf und dran sind, das, was wir uns bemühen, als kulturelle Selbstbeschreibung zu verhandeln, nachhaltig zu beeinflussen. Und das,  ohne dass sich eine Politik abzeichnen würde, die mit den Bevölkerungen einen mutigen Dialog über die Tragweite der sich abzeichnenden, geänderten Kräftebehältnisse begänne oder gar auch nur halbwegs überzeugende Lösungsvorschläge anbieten könnte?

Bereits 2013 initiierte die European Cultural Foundation einen Dialog zwischen Brasilien, China und Europa mit der beziehungsreichen Fragestellung „The Dwarfing of Europe?“. In der Dokumentation findet sich u. a. folgendes Statement: „For centuries Europe considered itself to be the centre of the world. Many of the concepts and institutions that have shaped the Western world – in politics and economics, in philosophy, the arts and literature – have a strong European imprint. […] Over the course of the bellicose 20th century, Europa lost its predominance for ever“.

Der demokratisch verfasste Staat ist eine Kulturleistung

Diese Aussage konnte man in der Hochzeit des „arabischen Frühlings“ und den damit verbundenen Hoffnungen auf alsbaldige Demokratisierung bislang (nur zu oft mit westlicher Unterstützung) autoritär regierter Gesellschaften noch als einen überzeichnenden kritischen Appell, allenfalls als Aufforderung, sich am Riemen zu reißen, interpretieren. Heute scheint von diesen Hoffnungen nur mehr wenig übrig geblieben zu sein. Ganz offensichtlich verliert das europäische Modell der repräsentativen Demokratie mit seinen Attributen der Wahrung der Menschenrechte, der Rechtstaatlichkeit, Gewaltenteilung, Schutz von Minderheiten, Trennung von Kirche und Staat oder von Reich zu Arm umverteilender Wohlfahrtstaatlichkeit  immer mehr an Attraktivität und wird durch autoritäre Herrschaftssysteme – von denen sich zumindest einige der bereits überwunden geglaubten politischen Bedeutung der Religion bedienen – abgelöst. China, Russland, die Türkei – nicht zu reden von den meisten arabischen Ländern, die nach einigen kurzen Wochen der Demokratie-Euphorie zwischen Staatszerfall und Terrorherrschaft pendeln – überbieten sich in der Beweisübernahme, dass Europa kulturell am Ende ist. Noch vor kurzem waren es (nur) die ertrinkenden Bootsflüchtlinge am südlichen Rand des Kontinents, die uns daran erinnert haben, dass anderswo etwas nicht in Ordnung ist, um danach wieder zur normalen Tagesordnung zurückzukehren. Jetzt sind es bewaffnete Verbände, in diesem Fall aus Russland, die die Überlegenheit des  Modells Europa an seinen Grenzen  herausfordern und PolitikerInnen beim jüngsten EU-Gipfel davon sprechen lassen, dass „sich Russland im Krieg mit Europa“ befände.

Vorbei – zumindest vorerst – mit dem friedlichen Wettstreit unterschiedlicher Organisationsformen des Zusammenlebens, aus dem – so unsere für viele Jahre weitgehend kritiklos vorangetragene Selbstgewissheit – quasi naturnotwendig europäische Vorstellungen des demokratischen Zusammenlebens den Sieg davon tragen würden.

Demokratie in der Defensive – und was auf uns zukommt

Die Situation erweist sich, jedenfalls für mich, als besonders prekär, weil auch in Europa selbst die Bereitschaft zur Verteidigung und Weiterentwicklung demokratischer Verhältnisse dramatisch schwindet. Bereits seit geraumer Zeit zeigen sich die Wirkungen eines populistischen Diskurses mit zum Teil drastisch antidemokratischen Zügen, die vorgeben, den Menschen nach dem Mund zu reden, den sie zuvor mit rassistischem oder europafeindlichem Wortmüll zugeschüttet haben. In einer Reihe europäischer Länder haben diese Kräfte ein beträchtliches und über die Krise hinweg zumindest stabiles WählerInnen-Reservoir entwickelt, in anderen, wie in Österreich oder Frankreich sind sie drauf und dran, als jeweils stimmenstärkste Partei Regierungsverantwortung zu übernehmen und damit „Demokratie“ wie wir sie kennen, nachhaltig zu beschädigen, wenn nicht gleich ganz abzuschaffen. Im Detail studiert werden können die erwartbaren Konsequenzen am Beispiel Ungarns, dessen dominierende Figur Viktor Orbán sich als Repräsentant einer, dem russischen Modell verpflichteten „illiberalen Demokratie“ im Herzen Europas beschreibt und damit nicht nur die Kulturszene des Landes nachhaltig verändert.

Da oder dort muss es aber gar nicht zum Äußersten kommen. Dort wo etwa der österreichische Paradepopulist Jörg Haider einmal gemeint hat, er würde die etablierten Parteien „mit einem nassen Fetzen vor sich her treiben“ sind diese zunehmend bereit, ihr demokratisches Selbstverständnis zum eigenen Machterhalt neu zu interpretieren. So meinte zuletzt der niederösterreichische Landeshauptmann, der sein Land seit vielen Jahren mit absoluter Mehrheit regiert, in der Bevölkerung bestünde eine „Sehnsucht nach Autorität“, die es politisch (endlich) zu befriedigen gälte. Kein Wunder also, wenn zuletzt Gesellschaftsanalysen erscheinen, die, ob aus österreichischer oder deutscher Sicht, die „Demokratie in der Defensive“  sehen.

Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auf und die Öffentlichkeit schweigt

Einen der zentralen Gründe für die schleichende Entdemokratisierung orte ich in der wachsenden sozialen Desintegration der europäischen Gesellschaften. Ich habe schon mehrmals auf den völligen Irrwitz hingewiesen, dass die führenden EntscheidungsträgerInnen meinen, dem Kontinent eine Jugendarbeitslosigkeit von mehr als der Hälfte der Altersgruppe zumuten zu können. Ihre Legitimation erhalten sie aus dem Umstand, dass diese Form der Produktion kollektiver Perspektivlosigkeit von den verunsicherten Bevölkerungen jedenfalls bislang ohne nennenswerten Widerstand hingenommen wird.

Es stimmt. Bereits vor der Krise gab es einen nicht unbeträchtlichen Anteil der Bevölkerung, dem der Zugang zur Gesellschaft verwehrt blieb und der folglich gezwungen war, seinen Alltag statt mit zusätzlichen Bildungsbemühungen mit Angeboten  kommerzieller Unterhaltung aushaltbar zu machen. Damals gab es aber auch noch politische Kräfte, die diese Lebensumstände auf der öffentlichen Agenda hielten und als das bezeichneten, was sie sind: als einen Skandal.

Mit der Zunahme der Werte einer weitgehend individualisierten Wettbewerbsgesellschaft verstummen diese kollektiven Stimmen der Anwaltschaft, die den Betroffenen trotz aller widrigen Umstände immerhin eine sichtbare gesellschaftliche Position erkämpft haben. Heute werden die KrisenverliererInnen vor allem in Gestalt junger Männer – wie der deutsche Jugendforscher Klaus Hurrelmann meint –„sozial einfach abgehängt“ und aus dem öffentlichen Bewusstsein gedrängt. Sie können das vorgegebene Tempo nicht mithalten und finden sich damit ab, dass es für sie keine Chancen gibt. Ihnen bleibt die schiere Aggression, die sie an unter sich ausleben können. Für den Rest verlassen wir uns auf eine zunehmend rigide Sicherheitspolitik.

Kann mir jemand sagen, warum sich Krisenverlierer für die Sachen der Demokratie engagieren sollen?

Trotz aller Ausgrenzungsversuche sind sie aber nicht völlig aus der Welt. Es gibt sie weiterhin. Wenn sie sich die Köpfe einschlagen, stehen sie sogar in der Zeitung, aber nur dann.  Ich aber wäre dankbar für jeden Hinweis, der mir erklären könnte, warum sich diese Gruppe, die zuvor  gesellschaftlich systematisch ausgegrenzt wurde, lustvoll, konstruktiv und mit Engagement an demokratischen Entwicklungen beteiligen sollte. Viel wahrscheinlicher ist es da schon, dass sich derart Frustrierte vorrangig denjenigen Kräften zuwenden, die sich nicht lange mit nur mühsam erzielbaren demokratischen Kompromissen aufhalten und ihnen stattdessen unmittelbare Stärke versprechen. Dazu haben sie immer einen Schuldigen für deren Misere parat – gerne in Gestalt der sich von Krise zu Krise mühsam weiterschleppenden demokratischen Kräfte.

Und plötzlich reden wir nicht mehr von den Menschen, die aus allen Weltgegenden nach Europa kommen, um an den hart errungenen demokratischen Errungenschaften des Kontinentes zu partizipieren, sondern von denen, die Europa den Rücken zu kehren, um von Verlierern zu (scheinbaren) Gewinnern beim Aufbau irgendwelcher obskurantistischer Herrschaftssysteme, die an die Zeit des Dreißigjährigen Krieges erinnern, zu mutieren. Ihr Ziel  ist es, alles auszulöschen, wofür dieser Kontinent als führendes Laboratorium für alle Wertekonstrukteure eines demokratischen Gemeinwesens (inklusive seiner katastrophischen Pervertierungen) schon einmal gestanden hat.

Kulturpolitik als Movens der Demokratieentwicklung – Es war einmal….

In der Verfertigung diesbezüglicher Konzepte wollte sich einst „Kulturpolitik“ in besonderer Weise hervortun. In dem Zusammenhang ist mir zuletzt ein Sammelband mit dem Titel „Kulturpolitik als demokratische Legitimation zur Aufklärung“, der bereits 2004 erschienen ist, in die Hände gefallen. In diesem bringt der Ausstellungskurator Robert Fleck den ursprünglichen Anspruch, die Idee der Kulturpolitik mit der Entwicklung der Demokratie zu verbinden, auf den Punkt. Zugleich ortet er eine verhängnisvolle Entwicklung, nach der (auch) Kulturpolitik zunehmend dazu neige,  populistischen und plebiszitären Reflexen zu entsprechen und damit diesen Zusammenhang preis zu geben. In dieser, zugegeben generalisierenden, Sicht, scheint seine Befürchtung eingetroffen zu sein: Immerhin lassen sich jetzt, zehn Jahre später, keinerlei konzeptive kultur-politischen Ansprüche mehr festmachen, die darauf hindeuten wollten, mit den Mitteln der Kultur ließen sich, wenn schon nicht Alternativen zur grassierenden Demokratiemüdigkeit schaffen, so doch ein kollektives Bewusstsein über die Gefahren, die sich aus dem sukzessiven Verfall demokratischer Errungenschaften ergeben, mobilisieren.

Stattdessen scheint der Kulturbetrieb weitgehend auf einen affirmativen, die Verhältnisse nicht mehr grundsätzlich in Frage stellenden Kurs eingeschwenkt zu sein. Der Rest ist ein Kampf ums Überleben angesichts sinkender öffentlicher Fördermittel. Und selbst diese Form der staatlichen Selbstbeschränkung muss als Ausdruck einer wachsenden politischen Skepsis interpretiert werden, deren ExponentInnen ganz offensichtlich nicht mehr daran glauben, mit Hilfe der Kultur ließe sich eine einseitig auf finanz- und wirtschaftspolitische Bedürfnisse zugerichtete Gesellschaft in signifikanter Weise beeinflussen.

Ungewollt wird Kulturpolitik zu einem aussagekräftigen Indikator für den Zustand demokratischer Gesellschaften. Und damit – das wissen wir – ist es nicht zum Besten bestellt. Das wissen auch all diejenigen, die vor den Toren des Kontinents die Chance gekommen sehen, sich in der Phase seiner Schwäche nunmehr endgültig vom Joch eines selbstgerechten Kulturimperialismus zu befreien, der in weiten Teilen der Welt das Gegenteil von dem hat entstehen lassen, was seine Propagandisten einst versprochen haben.

Wie politisch kann/will/muss kulturelle Bildung sein?

Im  Moment kann ich nicht sehen, dass Europa auf diese Auseinandersetzung vorbereitet ist. Das macht Angst und evoziert doch einen Überlebenswillen, den ich mit meinen LeserInnen teilen will und der nicht zulassen will, dass die ehemals hart erkämpften demokratische Errungenschaften  von außen und/oder von innen vorschnell zur weiteren Disposition gestellt werden.

Zumindest eine Ermutigung wäre es, wenn  Maßnahmen der kulturellen Bildung künftig nicht vorrangig darauf ausgerichtet würden, den IQ der TeilnehmerInnen zu erhöhen oder mit Hilfe von Musik, Theater oder Tanz bessere Ergebnisse in Mathematik zu erzielen lassen. Als Alternative dazu schlage ich vor, die Beschäftigung mit Kunst und Kultur dafür zu nutzen, demokratischen Werte, auf die wir schon einmal recht stolz waren, so verhandelbar zu machen, dass sie nicht nur zu individuellen, sondern auch zur kollektiven und damit politischen Entwicklung beizutragen vermögen.

Sind es in erster Linie Widersprüche, die kulturelle Bildung konstituieren?

In den letzten Wochen war ich eingeladen, eine Reihe von sogenannten Akteursforen zum Thema kulturelle Bildung zu moderieren. Die Stiftung Mercator zusammen mit einer Reihe weiterer Stiftungspartner ermöglichte es jeweils rund 20 VertreterInnen des schulischen und außerschulischen Bereichs, der Politik, Verwaltung, von Stiftungen und Verbänden sowie der Wissenschaft jeweils einen Tag lang deutschlandweit „in Dialog zu treten“. Die Idee bestand darin, in jeweils überschaubaren Kreisen und abseits der Alltagsroutinen miteinander ins Gespräch zu kommen, zentrale Fragestellungen zu verhandeln, da und dort vielleicht sogar einen Nerv zu treffen. Mit unterschiedlicher Emphase gelang es, Empfehlungen zur besseren Verankerung von kultureller Bildung in der Schule zu erarbeiten, deren Umsetzung nicht reflexhaft einer anderen Akteursgruppe zugewiesen wurde, sondern die als Handlungsanleitungen für die eigene Gruppe angenommen werden konnten.

Der Titel des Programms „Stärken stärken“ weist hinlänglich auf die Absichten der Veranstalter, den Level des Räsonierens über die schwierigen Bedingungen möglichst niedrig zu halten und spürbar zu machen, welche Kräfte die jeweils eigene Akteursgruppe repräsentiert und allenfalls auch zu mobilisieren vermag ohne darauf zu vertrauen, dass sich die Rahmenbedingungen insgesamt schon irgendeinmal zugunsten besserer Realisierungsformen weiter entwickeln würden. Ende September wird es ein abschließendes Forum geben, um sich Akteurs übergreifend auszutauschen und aus all den vorgeschlagenen Maßnahmen einen „ entscheidenden Hebel“ zu konstruieren, der kulturelle Bildung stärker ins Herz des schulischen Geschehens zu rücken vermag.

Bei den intensiven Gesprächen, die mir als österreichischem Beobachter wichtige Einsichten in das deutsche kulturelle Bildungsgeschehen ermöglicht haben, sind mir drei Widersprüche besonders aufgefallen. Ohne selbst allzu tief in die Falle geraten zu wollen, die zu vermeiden mir als „maitre de plaisir“ dieser Veranstaltungsreihe aufgetragen war, scheinen mir im Zuge der Diskussionen einige neuralgische Punkte offensichtlich geworden zu sein, ohne deren systematische Bearbeitung eine weitere strukturelle Verankerung dessen, was wir inhaltlich mit kultureller Bildung verbinden, nur wenig aussichtsreich erscheint.

Holt mich hier raus! – LehrerInnen im Eck

Da ist zum einen die fast körperlich spürbare Fremdheit, die LehrerInnen der traditionellen künstlerischen Trägerfächer, vor allem Musikerzieher und bildnerische Erzieher von den anderen Akteuren trennt. Wir alle kennen LehrerInnen, die mit großem Engagement und sehr erfolgreich Kooperationsprojekte mit außerschulischen Initiativen und Einrichtungen durchführen. Und trotzdem setzt sich in Settings wie den angesprochenen Akteursforen auf Seiten der LehrerInnen nur zu gerne ein Standesvertretungs- Jargon der Selbstvereidigung durch, der von allen anderen Akteuren außerhalb der Schule gerne als weitgehend weltfremde Verweigerungshaltung zur Verteidigung irgendwelcher Privilegien interpretiert wird. Kurz, da reden zwei Gruppen systemisch aneinander vorbei mit der Konsequenz, sich in ihren Bemühungen gegenseitig eher zu schwächen als zu stärken.

Um diesen Reibungen etwas besser auf die Spur zu kommen, schlage ich einen kurzen Blick in die Vergangenheit vor, in der sich zumindest bestimmte Schulen zusammen mit Kultureinrichtungen als kommunizierende Gefäße verstanden haben. Dabei kam den Schulen die Aufgabe zu, in einer lang dauernden und systematisch vorgetragenen Weise SchülerInnen auf das Angebot kultureller Einrichtungen vorzubereiten. Für eine privilegierte Gruppe von SchülerInnen war es ein durchaus mühsamer und schwieriger, im Erfolgsfall aber umfassend bereichernder Lernprozess, sich das notwendige Wissen, die Fähigkeiten und auch die Haltungen anzueignen, die notwendig waren, um vollwertig am kulturellen Leben teilzunehmen. In diesem Aneignungsprozess kam den Musik- und Kunstlehrern (in aller Regel männlich) eine wichtige Torwächterfunktion zu, die sicherstellte, dass die BesucherInnen von Kultureinrichtungen über das nötige Know-how verfügten. Allen anderen wurde deutlich gemacht, dass sie mangels entsprechender Voraussetzungen nicht dazugehören. In den nicht gymnasialen Schulformen, die explizit nicht als Bestandteile dieses kommunzierenden Systems gedacht waren, sollten sie sich auf einige Grundfertigkeiten wie dem Singen oder Zeichnen beschränken und darüber hinaus keine weiteren kulturellen Ansprüche stellen.

Es war unter anderem dem außerschulischen Bereich zu verdanken, diese Form der kulturellen Selektion in Frage zu stellen. Im Gegensatz zur traditionellen musischen Erziehung in der Schule sollte mit dem Kampfbegriff der „Kulturellen Bildung“ vor allem für junge Menschen, die durch die bestehende Schulstruktur benachteiligt wurden, neue Formen des Umgangs mit Kunst und Kultur entwickelt werden. Sie sollten mithelfen, ihre soziale Diskriminierung zumindest zu relativieren und sie mit den ihnen zustehenden kulturellen Rechten auszustatten. So ist es nicht verwunderlich, dass  die außerschulische Jugendkulturarbeit ursprünglich einen Gutteil ihrer Energie aus der Abarbeit an den traditionellen Schulstrukturen bezog, zu denen sie sich als die bessere Alternative verstand.

Seit der Etablierung dieses Grundkonflikts ist viel passiert, Schulen haben ihr Monopol auf kulturelle Selektion verloren, Kunst- und Kultureinrichtungen können sich nicht mehr auf „ihre“ Schulen verlassen, die für ihr Programmangebot notwendige Vorbildung bereit zu stellen und Jugendkultureinrichtungen sind – trotz dem Weiterbestehen vielfältiger organisatorischer Zwänge – auf vielfältige Kooperationen mit Schulen verwiesen. Und doch blitzen dahinter bislang ungelöste Widersprüche auf, deren weitere Tabuisierung den Grund liefern könnten, die anhaltenden Fremdheiten weniger aufzulösen denn zu verklären.

Einmal ist Allemal – Was kulturelle Bildung verspricht und was sie zu halten vermag

Da ist zum einen der Anspruch von LehrerInnen, eine kontinuierliche (wenn auch in knappe Zeiteinheiten gestückelte) Form der Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur zu gewährleisten. Dieser kollidiert mit einer Flut von Einzelprojekten, Einmalaktionen oder Hauruck-Initiativen, die allesamt suggerieren, Kunst und Kultur ließen sich unmittelbar erfassen, dafür bräuchte es, wenn überhaupt rasch und leicht vermittlerbarer Voraussetzungen. Diese neuen Settings widersprechen der schulischen Behauptung, der Umgang mit Kunst und Kultur könne nur in einem langen, mühsamen Prozess der Persönlichkeitsentwicklung erworben werden. Aus LehrerInnen-Sicht hingegen erreichen sie nichts anderes als eine stetige Verbeliebigung, Instantisierung und damit Entwertung dessen, wofür Kunst und Kultur einst gestanden sind.

LehrerInen leiden unter der zunehmenden Verwirrung darüber, worum es bei Kunst und Kultur überhaupt (noch) geht. Immerhin hat Schule (trotz aller staatlich dekretierten Lehrpläne) weitgehend ihre Definitionsmacht darüber eingebüßt, was künstlerisch bzw. kulturell von Bedeutung ist und was nicht. Dazu müssen LehrerInnen zur Kenntnis nehmen, dass in einer demokratischen Gesellschaftsordnung ein systematischer Ausschluss einer Mehrheit junger Menschen an einem mittlerweile hoch ausdifferenzierten Kulturgeschehen nicht gerechtfertigt werden kann.

Das Problem, das sich für viele LehrerInnen stellt, besteht schlicht darin, dass sie nicht ausreichend gelernt haben, mit jungen Menschen, die nicht ihrer eigenen sozialen Schicht angehören, lernend umzugehen. Da wo früher Selektionsmechanismen LehrerInnen von ihnen sozial fremden SchülerInnen befreit haben, sind ihnen LehrerInnen heute auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Da ist viel Angst im Spiel, wenn es darum geht, die kulturellen Selbstverständnisse der ihnen anvertrauten jungen Menschen für schulische Lernprozesse produktiv zu machen – oder daran zu scheitern. Dass ihnen außerhalb der Schule VertreterInnen der Jugendkultureinrichtungen vermitteln, nur sie wüssten, wie es geht, trägt nur wenig zur Schaffung einer diesbezüglichen Zuversicht unter den LehrerInnen bei.

Jenseits von Angebot und seiner Vermittlung – Wann beginnt das Nachdenken über ein zeitgemäßes kulturelles Bildungsprofil von Kunst- und  Kultureinrichtungen?

Und da sind schließlich Kunst- und Kultureinrichtungen, die (unterstützt von einer angebotsorientierten Kulturpolitik) ungebrochen so tun, als seien sie nach wie vor angeschlossen an den kommunizierenden Gefäßen und würden folglich von Schulen mit einem ausreichend kulturell gebildeten Publikum versorgt. Viele von ihnen agieren in der Illusion, sich mit den zum Teil dramatischen demographischen Veränderungen, die mittlerweile auch den Schulbereich voll erfasst haben, erst gar nicht auseinander setzen zu müssen. Es genüge, auf den je eigenen künstlerischen Anspruch zu vertrauen, um allenfalls das seit vielen Jahren weitgehend unveränderte Angebot um ein paar punktuelle Vermittlungsinitiativen zu ergänzen. Mit der damit verbundenen Erwartung, unmittelbare Lerneffekte zu erzielen (bei denen LehrerInnen als potentielle Störenfriede tunlichst ausgeschlossen bleiben sollen) tragen sie bei zu einer weiteren Entfremdung derjenigen bei, die sich der Aufrechterhaltung halbwegs kontinuierlicher Formen  des kulturellen Kompetenzerwerbs verpflichtet sehen und dabei von innerhalb und außerhalb der Schule zunehmend unter Druck geraten. Sie aus dieser Ecke herauszuholen, scheint mir einer der zentralen „Hebel“, um das System der kulturellen Bildung zu dynamisieren.

Zwei andere Widersprüche möchte ich an dieser Stelle noch ansprechen. Der eine bezieht sich auf die geänderte Stellung von Kulturverbänden im kultur- und bildungspolitischen Gefüge. Ursprünglich als Interessensvertretungen ins Leben gerufen, deren Sinn bestehen sollte, Politik zu machen bzw. diese im Sinn ihrer Mitglieder zu beeinflussen, mutieren sie zunehmend zu Serviceeinrichtungen. Dies hat auch mit Veränderungen des öffentlichen Förderwesens zu tun, das ursprünglich darauf abzielte, den Verbänden in kontinuierlicher Weise (als demokratisch legitimierte Akteure des Gemeinwesens) ihre politische Arbeit zu ermöglichen. Im Zuge der zunehmenden Projektorientierung sehen sich auch die Verbände (oft in Konkurrenz zu ihren Mitgliedern) gezwungen, selbst Projektmittel einzuwerben, um in Durchführung damit verbundener Dienstleistungen ihr Überleben zu sichern. Ressourcen für die eigentliche politische Arbeit trocknen hingegen weitgehend aus.

Gewinnen die Stiftungen? – Die Kulturverbände und das Ende der kulturpolitischen Interessensvertretung

Eine besondere Pointe ergibt sich im Verhältnis der Verbände mit den zunehmend an kultur- und bildungspolitischen Einfluss gewinnenden privaten Stiftungen. Einer der Gründe für ein sich verschlechterndes Standing ist schlicht dem Umstand geschuldet, dass Verbände im Kontakt mit Politik und Verwaltung tendenziell als Nachfrager von Ressourcen (vor allem Fördermittel) auftreten während private Stiftungen als dessen Anbieter auftreten können. Eine Politik, die sich zunehmenden Sparzwängen ausgesetzt sieht, wird – so meine Vermutung –  leichter Einvernehmen erzielen mit einem Partner, der selbst Mittel einbringt und damit zusätzliche Aktivitäten ermöglicht als ein solcher, der sich um Mittel bewirbt und diese dann möglicher Weise dazu nutzt, die fördergebende Politik zu kritisieren. Unversehens kommt es auf diese Weise zu einer nachhaltigen Schwächung der Verbände als Repräsentationsformen eines gemeinsamen Willens, bei einer gleichzeitigen Stärkung des Einflusses einzelner Stiftungen, die demokratisch in keiner Weise legitimiert sind sondern sich stattdessen auf den Willen ihrer jeweiligen Stifter berufen.

Über die Hierarchie des Wissenschaftsbetriebs – Oben die Erziehungswissenschaft, unten die Fachdidaktik

Und dann ist da noch der Wissenschaftsbereich. Bei den Diskussion mit den VertreterInnen einer Reihe von Wissenschaftseinrichtungen kam mir meine Teilnahme an der ExpertInnen-Kommission zur Einführung der Neuen Mittelschule in Erinnerung. Schon damals war es faszinierend mitzuverfolgen, mit welch zum Teil elegant vorgetragener Ignoranz ErziehungswissenschaftlerInnen den Beitrag von Kunst und Kultur für die Schulentwicklung zu negieren vermochten. Im Forum Wissenschaft wurde mir der Grund klarer: Er liegt im Fortbestand einer strikten Hierarchie, die innerhalb des Wissenschaftsbetriebs besteht und der Erziehungswissenschaft eine wesentlich größere Bedeutung zumisst als der Fachdidaktik.

Da ja der Fisch immer vom Kopf her stinkt, finde ich hier eine Erklärung für die potentielle Randständigkeit der Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur in der Schule, die, obwohl von einer elaborierten Fachdidaktik konzipiert, von weiten Teilen der Erziehungswissenschaften hingegen nach wie vor bestenfalls als belanglose Form der Behübschung, die von wesentlichen Fragen der Schulentwicklung ablenken würde, angesehen wird. Dass sich dieses wissenschaftliche Ungleichgewicht in der Stellung der betroffenen Gegenstände im schulischen Curriculum (und ihrer LehrerInnen) niederschlagen muss, liegt auf der Hand. Womit wir wieder bei einer der Ursachen für die tendenziell defensive Haltung derer wären, die eine gedeihliche Zukunft der kulturellen Bildung in der Schule zu aller erst zu verantworten haben.

In der Hoffnung auf Fortsetzung des öffentlichen Diskurses

Ich bin neugierig, welche Themen das abschließende Forum herausarbeiten wird, um das Thema kulturelle Bildung weiter auf der Agenda der Schulentwicklung zu halten und freue mich auf die Gelegenheit, einen Beitrag zu dieser Form des öffentlichen Diskurses, der hoffentlich mit dem Abschlussforum kein Ende findet wird, leisten zu können.

Ohne vorgreifen zu wollen, hoffe ich, dass die Diskussion zumindest Bezüge zu den, kulturelle Bildung vielleicht erst konstituierenden Problemstellungen, wie Rolle der LehrerInnen im Gefüge kultureller Bildung, das Verhältnis von privatem und kollektivem Engagement oder das Standing im Wissenschaftsbetrieb herzustellen vermag. Denn – so meine Vermutung –  ohne eine Weiterarbeit an den angesprochenen Widersprüchen wird bei allem guten Willen der Beteiligten „nicht viel weiter gehen“.

 

Bildnachweis: http://sylviasmalerei.blogspot.co.at