Kulturagenten
In diesen Tagen erschien in der Süddeutschen Zeitung ein Kommentar mit dem Titel „Agenten ohne Agenda“. Darin polemisiert Stephan Opitz gegen die Installierung von sogenannten „Kulturagenten“ in rund 150 deutschen Schulen. Deren Aufgabe soll es laut Selbstdarstellung sein, „gemeinsam mit SchülerInnen, LehrerInnen, der Schulleitung, Eltern, KünstlerInnen und Kulturinstitutionen ein umfassendes und fächerübergreifendes Angebot an Bildung aufzubauen“.
Seine Ablehnung erstaunt fürs Erste, zitiert er doch selbst die besten Absichten der Initiatoren Bundeskulturstiftung und Mercatorstiftung: „Ziel des Programms ist es, Kinder und Jugendliche nachhaltig für Kunst und Kultur zu begeistern und dadurch in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu fördern“. Wer wollte da schon ernsthaft dagegen sein?
Die Pikanterie von Opitz Kritik liegt einerseits darin, dass dieser erst 2009 zum Professor für Kulturmanagement an der Universität Kiel ernannt worden ist und so dieser Text eine gewisse professionelle Schizophrenie nicht verbergen kann. Als selbst langjährig im Feld der Vermittlung Tätiger verfügt Opitz über seine akademischen Funktionen hinaus über einschlägige Erfahrungen als ehemaliger Fachbereichsleiter für kulturelle Bildung sowie als Leiter der Kulturabteilung des Landes Schleswig-Holstein, wo er seit 1999 für kulturelle Grundsatzangelegenheiten zuständig zeichnet.
Warum nicht auch in Schleswig-Holstein?
Man könnte seine Glosse als simplen Ausdruck von Regionalneid abtun, wenn die Kulturagenten für die nächsten vier Jahre in Berlin, Thüringen, Nordrhein-Westfalen und Hamburg tätig werden sollen und nicht im unmittelbaren Wirkungsbereich von Stephan Opitz. Oder als Ausdruck einer fachlichen Überheblichkeit, die das wachsende Vermittlungsbemühen zwischen Schulen und Kultureinrichtungen im Vergleich zum eigenen kulturmanageriellen Tun als minder begreift.
Man könnte sie aber auch lesen als eine Abwehr eines Vertreters des „Apparats“, der sich vor allem mit der Mercatorstiftung neuen, privat organisierten Akteursgruppen gegenübersieht, die den lauten Anspruch stellen, in das bisherige staatliche Monopol „Schule“ und „Bildung“ zu intervenieren. Da kann schon die Frage bei ihm hochgekommen sein: „Dürfen die denn das überhaupt?“ und wenn ja: „Wie wehre ich mich als Vertreter der öffentlichen Kulturverwaltung gegenüber dieser neuen Herausforderung zur Durchsetzung privater Interessen?“
Und so versucht Opitz, in einer breiteren Öffentlichkeit das Grundanliegen der neuen Einflussnehmer madig zu machen. Wobei vorab zuzugeben ist, dass es der Bereich der Kulturvermittlung seinen Kritikern noch immer sehr einfach macht. Etwa wenn deren VertreterInnen nach wie vor bar jedweder Evidenz „Kultur als das höchste erreichbare Glück“ verkaufen und versprechen, mit einem „Mehr an Kultur die meisten sozialen Probleme zu bewältigen“, dann ist das nicht nur naiv. Aus der Sicht der aktuellen Krisenverlierer stellen diese Aussagen zunehmend eine Verhöhnung durch einen privilegierten Mittelstand dar, der sich durch stereotypes Schönreden von den realen Entwicklungen entfernt.
Wissen wir noch, wovon wir reden?
Es macht also durchaus Sinn, zumindest Teile der Kritik von Opitz ernst zu nehmen, gerade dort, wo er in der Konzeption der „Kulturagenten“ die simple Ineinssetzung von Kunst und Kultur bemängelt. Seine Vermutung läuft darauf hinaus, dass sie die Organisatoren nur wenig Gedanken über die inhaltliche Spezifikation der Initiative gemacht haben. Offen bleibt, was eigentlich vermittelt werden soll. Statt dessen werden wir einmal mehr auf die Dominanz eines Organisationswollens (in Österreich heißt der politische Slogan dazu: Bis 2013 sollen alle Schulen mit einer Kunst- oder Kultureinrichtung zusammenarbeiten) verwiesen, die das Wie soweit über das Was (bzw. die Form über den Inhalt) stellt, bis Zweiteres zur Beliebigkeit zu verkommen droht: Angesagt ist herzeigbarer Aktionismus.
Dieses inhaltlich dünne Eis versucht Opitz mit der Aussage zu brechen: „Wenn aber die Kultur einer Region, einer Landes, eines Erdteils die Verständigung der dort Lebenden darüber ist, wie sie leben und welches Verständnis sie von sich selbst haben, dann ist ihr mit Agenten nicht geholfen. Um eine solche Verständigung zu erreichen, braucht es selbstverständliche, ruhige, sehr langfristige Bildungsprozesse. Sie haben immer mit Spiel und Ernst, mit Arbeit und Lässigkeit, mit Leichten um Schwerem zu tun, mit einem vertrauten Umgang mit Literatur, Bildender Kunst und Musik“.
Das Klischee vom Agenten
Dahinter steckt ganz offensichtlich das Bild von Agenten als eilige Checker, die als flüchtige Phänomene des Turbokapitalismus mal da, mal dort punktuell intervenieren, in der Hoffnung, Aktivitäten in Gang zu setzen oder am Laufen zu halten. Dagegen gibt es aber auch das Bild des Agenten als eines beharrlich tätigen Begleiters, der imstande ist, überlebenswichtige Funktionen auch und gerade bei langfristig angelegten künstlerischen Prozessen wahrzunehmen (KünstlerInnen, die ihre Erfolge einer symbiotischen Zusammenarbeit mit Agenturen, Galerien, Verlagen oder Veranstaltern verdanken, werden wissen, wovon ich rede).
Das vorrangige Problem von Opitz aber scheint zu sein, dass es da überhaupt eines Funktionsträgers bedarf, der willens und in der Lage ist, zwischen der kulturbetrieblichen Produktion (vulgo „der Kultur“) und seiner Rezeption („dem Publikum“) zu vermitteln. Dieser Zweifel scheint gerade aus der Sicht eines Vertreters des Faches Kulturmanagement verwunderlich, zumal zu dessen Grundlagen das Einverständnis über die Existenz eines Marktes aus „Kulturanbietern“ und „Kulturnachfragern“ gehört.
Man sieht immer durch die Brille der eigenen Erfahrung
Auf der Suche nach Erklärungen bin ich auf ein Interview „Man sieht nur, was man weiß“ mit Bazon Brock anlässlich der Documenta 11 gestoßen. Darin verweist er nochmals eindringlich auf das apriori moderner Marktwirtschaft, die von einem Gleichgewicht zwischen Produktion und Rezeption, zwischen Produzieren und Konsumieren ausgeht. Dieses Gleichgewicht – so volkswirtschaftlicher Common Sense – funktioniert nur, wenn beide Seiten über den gleichen Informationsstand verfügen, um auf dieser Basis begründete Entscheidungen zu fällen.
Weil das aber in der Regel nicht der Fall ist, befinden sich die Konsumenten gewöhnlich in einem strukturellen Nachteil gegenüber den Produzenten. Sie sind in ihren Entscheidungen auf vorab gefilterte Informationen („Werbung“) angewiesen und geraten bei entsprechenden Krisen („Ehec“) rasch in Entscheidungsnotstand. Diese Form der Fremdbestimmung wird zumindest in Teilen der Gesellschaft als Problem gesehen, dem es gilt, mit entsprechenden Maßnahmen („Konsumentenerziehung“) gegen zu steuern.
Kultur in der Marktwirtschaft heißt Handeln am Kulturmarkt
Nach Opitz soll das im Bereich ganz anders sein. „Kultur“ – als letztes nicht marktwirtschaftliches Reservat – soll sich den Rezipienten wie in vormodernen Zeiten irgendwie unmittelbar erschließen. Nach seinen Auslassungen handelt es sich bei den Vermittlern ausschließlich um eine parasitäre Form der Berufsfelderweiterung, die krampfhaft versuchen, sich in „absurder Selbstüberhöhung“ selbst zu legitimieren: „In der Entstehung eines neuen Berufes von ideellen Klempnern, die ausgesandt werden, um in Häusern, in denen die Wasserleitungen nicht mehr funktionieren, goldene Hähne anzubringen“.
Den Vorwurf, die kaputten Wasserleiterungen nicht zu reparieren, haben sich die VermittlerInnen selbst zuzuschreiben. Ihre Versprechungen, die soziale Konstruktion der Gesellschaft aufrecht zu erhalten, erweisen sich spätestens mit der aktuellen Krise als haltlos. Anders schon schaut es bei den goldenen Hähnen aus. Immerhin geht es hier um die Entwicklung von Urteilsfähigkeit, die darüber entscheidet, ob ein Wasserhahn als funktionstüchtig, wünschenswert, angemessen, schön, wertvoll, zu mir passend, dekadent oder schlicht als jenseits erfahren wird. Und das geht jeden an.
Auch Rezipienten sind Marktteilnehmer
Bazon Brock hat zuletzt ein Buch „Der Profi-Bürger“ herausgegeben. Mit seinen Vorstellungen zu einer „Profi-Bürgerschaft“ weist er den Künsten als einem kosmopolitischen Phänomen bei der Überwindung bestehender Sprach-, Glaubens-, Kultur- oder Parteiungsgemeinschaften zugunsten einer die Kulturen überspannenden Weltzivilisation zentrale Bedeutung zu. Seine Überlegungen basieren auf einem neuen Studienangebot für „Diplom-Bürger an der HfK Karlsruhe“, das auf die Ausbildung eines Publikums hinausläuft, das an Anspruch stellen kann, der elaborierten Kulturproduktion (vulgo „Kunst“) auf Augenhöhe gegenüber zu treten.
Der Grundgedanke ist einfach: Um sich mit Kulturproduktion adäquat auseinander setzen zu können, bedarf es nicht Formen der „erzwungenen Unmittelbarkeit“ sondern entsprechender Bildungsvoraussetzungen, die nur im Rahmen entsprechender Vermittlungsbemühungen zu schaffen sind: „Niemand, der seine Rolle als Rezipient ernst nimmt, kann glauben, in wenigen Minuten Blickkontakt, in einer einzigen Theateraufführung und selbst beim bemühtesten, aber nur stundenweisen Lesen vielschichtiger Texte den Anforderungen der Texte gewachsen zu sein“.
Wenn es um die Gleichwertigkeit am Kulturmarkt geht, bringt Brock den Umstand ins Spiel, dass KünstlerInnen in der Regel viele Jahre lang in einschlägigen Einrichtungen ausgebildet werden, um sich ihr Metier anzueignen: „Sie lernen, studieren und arbeiten jahrelang, bevor sie an die Öffentlichkeit treten. Michelangelo quälte sich Jahrzehnte mit dem Auftrag zur Grabgestaltung für Papst Julius II.; James Joyce schrieb zehn Jahre lang an seinem Roman „Ulysses“.…Und gegen manchen Anschein arbeiten auch die Künstler der Moderne mit ausgeklügelten Verfahren und nach raffinierten Konzepten jahrelang an ihren höchst anspruchsvollen Werken“.
Seine Frage: Wo aber lernt das Publikum, dem Komponistenwerk, der Skulptur, dem Gemälde oder dem Roman gerecht zu werden: „Wenn Künstler Lehrjahre, Diplome und Staatsexamen absolvieren müssen, haben wohl auch die Zuschauer, die Zuhörer, die Betrachter ihrer Werke ähnliche Anstrengungen zu unternehmen. Aber immer noch gibt es an Hochschulen der Künste keine Klassen für Rezeption. Überall soll nur gelernt werden, wie man malt, schreibt und komponiert. Um die Befähigung des Publikums kümmert sich kaum jemand, man verlässt sich auf den Bürger als Adressaten, der damit immer seltener als gesellschaftliches Faktum in Erscheinung tritt.“
Daraus ergibt sich für Brock der Anspruch an die Kunstschaffenden, die Vermittlungsdimension in ihre Arbeit zu integrieren bzw. sie – direkt oder indirekt – zu verpflichten, ihre eigenen Rezipienten auszubilden (in praktischer Umsetzung hätte die Realisierung eines solchen Anspruchs ein Heraustreten der VermittlerInnen aus dem Schatten der Produktion in Richtung eines gleichberechtigten Zusammenwirkens von Produktion, Vermittlung und Rezeption zur Voraussetzung).
Vermittlung als Beitrag zu einem neuen Bildungsverständnis
Im Band „Der Profi-Bürger“ findet sich auch ein Beitrag des Rechtsanwalts Dieter de Lazzer „Professionalisierung der Bürger“. Darin arbeitet er sich an einem überkommenen Bildungsbegriff ab und kommt zu dem Schluss, dass das Ziel von Bildung niemals ein bloßer Kanon von bestimmten Fähigkeiten, Kenntnissen und Fertigkeiten sein kann, sondern „das Vermögen, sich neugierig, nachdenklich, lernbereit, verstehend, solidarisch, hilfreich, politisch und kritisch zu anderen Menschen und zu den Gegenständen der Lebenswelt auseinander zu setzen“.
Seine Bildungsvorstellungen treffen sich in weiten Teilen mit denen einer avancierten Kulturvermittlung. Ihr erscheint „Kultur nicht als etwas Bedürftiges“ (Opitz), das es gilt, als verlängerte Marketeers mit möglichst wenig Aufwand unter die (in ihrer Uninformiertheit bestätigten) Leute zu bringen.
Ihr professionelles Selbstverständnis begründet sich statt dessen auf einem Menschenbild, das den Austausch unter Gleichen auf den sich dynamisch weiterentwickelten Kulturmärkten zum (zugegeben noch utopischen) Ziel hat. Mehr oder weniger arbeiten aktuelle Konzepte der Kulturvermittlung Lazzers Bildungsanspruch zu, den sie sich vorgenommen haben, experimentell in vielfältiger Weise sinnlich erfahrbar machen.
Wenn der Künstler und Medientheoretiker Peter Weibel meint, dass „das Problem der Gegenwart nicht die Verteilung des Reichtums, sondern das Verhältnis von Entscheidungsbefähigung zur Entscheidungsbefugnis“ ist, dann wäre es allemal eine lohnende Agenda für die Kulturagenten der beiden Stiftungen, um dieses Verhältnis – durchaus im Rahmen von „selbstverständlichen, ruhigen, sehr langfristigen Bildungsprozessen“ – mit ihrem ganzen spielerischen Ernst nachhaltig zu verändern.
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